Portrait

Ohne Titel (Martirio), 2019, Acryl, Öl, Tempera auf Leinwand, 170 x 150 cm, Courtesy Galerie für Gegenwartskunst Barbara Claassen-Schmal, Bremen, Foto: Rahel Pasztor

Textauszug

Daniel Rossi
Ein Konzept oder einen dezidierten Plan verfolgt Rossi bei seinem Vorgehen nicht. »Das einzige, was ich weiß, ist, dass ein abstraktes Bild entstehen wird«, sagt der Maler. Die Anknüpfung oder den Rückbezug an eine außerbildliche Wirklichkeit überspringt er. Oder besser gesagt, das, was von außen auf das Bild wirkt, sind dessen innersten Elemente: seine Trägerstoffe und seine Farbmaterialien. Denen gewährt Rossi ihre eigene Ausdehnung und Wirkung. Die Farbe fließt zur Form, wenn die Leinwand kippelt. Die den Stoffen eigene Motorik setzt sich in den Aktionen des Künstlers fort, wobei Rossi dem Material die Führungsrolle zuweist. Das Materielle ist für ihn keine passive Verfügungsmasse, die bloß auf die Formung durch den Menschen gewartet hat. Für ihn besitzt das Material Eigensinn, Dynamik und Wirkungskraft. Es ist mehr als geronnener Fertigungsprozess, es agiert und interagiert mit dem Künstler. Rossi lässt sich von den Selbstbehauptungen, Ausdehnungen und Raumbesetzungen des Materials leiten. Es geht nicht um den Abdruck des Künstlers, sondern um Dynamik und Energie des Stofflichen.

Rossi legt seine Bilder als Schichtenfolge an. Er baut Räume nicht illusionär, sondern stofflich in die Tiefe aus. Seine Malereien bilden einen zeitlichen Verlauf nicht nur in den Arbeitsspuren, sondern auch bildräumlich ab. In den Schichtungen teilt sich ein Prozesscharakter mit, der die Werkentstehung und die Betrachtung umfasst. Es offenbart sich die Geschichte des Werks mit ihren unterschiedlichen stofflichen und motivischen Anlagerungen, mit Spannungsfeldern, Geflechten und Lineaturen als mehrdimensionales Geschehen. Und darin fließen auch verschiedene Zuschreibungen und Lesarten ein. Rossis Bilder verhandeln historische malerische Strategien der Emanzipation des Materials und der Befreiung des Bildes aus der Wirklichkeitsreferenz in eine eigene Realität. Sie handeln aber auch von einem Nachleben der Bilder, von den Einschreibungen, die der Betrachter vornimmt oder die in der Betrachtung wirksam werden. So wie Rossi die Künstler-Werk-Korrespondenz als ein wechselseitiges Durchdringen auf der Basis des Materials ansieht, so pendelt sich bei ihm auch die Wahrnehmung zwischen einem agierenden Bild und einem aktiven und informierten, ebenso sehenden wie erkennenden Auge ein. Seine Bilder sind ganz Ereignis, weil sie sich im Kern zwischen den Zeiten und Räumen, zwischen den Motiven und Themen, zwischen den Formen und Farben abspielen. Rossi greift Fäden der Malereiüberlieferung auf, führt sie aber neu zusammen. Mal lässt er die Enden liegen, mal verknüpft oder verwebt er. So erscheinen seine Werke wie Assemblagen, in denen auch die Materialien selbst keine fest gefügten Essenzen und Substanzen sind, sondern ihrerseits schon allenfalls Momentaufnahmen von Zwischenzuständen permanent variabler Feldformationen.

Der überzeugende malerische Duktus in Rossis Bildwelten, die Verbindung von Intuition und Reflektiertheit, die Offenheit und Freiheit des Künstlers, die verknüpft ist mit einer ausgeprägten, schon fast klassisch anmutenden Hingabe zum Medium Malerei, dessen Aktualisierung durch seine Kontextualisierung im gegenwärtigen kulturellen, soziologischen und philosophischen Diskurs mögen Gründe dafür sein, dass Daniel Rossi auch im Herbst in der vom Kunstmuseum Bonn federführend organisierten Ausstellung »Jetzt! – Junge Malerei in Deutschland« vertreten sein wird. Bei der ersten Ausstellung der Bremer Weserburg unter der neuen Direktorin Janneke de Vries ist er als einer der wenigen jungen Künstler in der Abteilung der Abstrakten Malerei schon zu sehen, neben etablierten Positionen, und er weiß dort zu bestehen.

Rainer Beßling