Portrait

Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz: Old Food, 2017, Courtesy of the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin, Cabinet Gallery, London, Gavin Brown’s Enterprise, New York / Rom und Dépendance Brüssel, © Ed Atkins, Kunsthaus Bregenz, Foto: Markus Tretter

Textauszug

Ed Atkins
Jede Generation hat ihre eigenen Künstler*innen und Bilder zu Themen des Science-Fiction, die immer näher an die Realität heranzurücken scheinen. Vor zwanzig Jahren galt der Schweizer Yves Netzhammer als künstlerisches Ausnahmetalent, als Bilderschöpfer einer neuen Welt, in der die Körper ihre Eigenschaften erst noch selber entwickeln müssen. Im Kontext aktueller Debatten um Postinternet-Ästhetik gilt Ed Atkins als wichtige Stimme einer poetischen und praktischen technologischen Reflexion. Atkins verleiht immateriellen Objekten eine materielle Form, deren digitaler Realismus dennoch nicht von ihrem »gefakten« Charakter ablenkt. Atkins Figuren, Gesichter und Körper bleiben immer ihrer illusionistischen Bildlichkeit verhaftet, der sie nicht entrinnen können.

Eines seiner bekanntesten Bilder ist das einer »Selbsthäutung«, der sich unendlich wiederholende Akt, sich selbst die Maske vom Gesicht zu ziehen, die nur mehr als identische Kopie des wirklichen Gesichtes erscheint, das sich dann wiederum als Maske zu erkennen gibt. Ein archaisches Bild, das wortwörtlich auf eine kutane Ebene übertragen wird und symbolisch zugleich über das Abbildhafte im Allgemeinen nachzudenken fordert. Überhaupt sind Schauplatz zahlreicher Videoarbeiten meist Abbilder des Körpers des Künstlers, bisweilen bizarre, bisweilen verunglückte Re-Interventionen, überlagert von parasitären Strukturen und Oberflächen, die eigentlich zu anderen Körpern und Dingen gehören. Immer bleibt das Körperliche bei ihm unzulänglich repräsentiert.

»Old Food« oder in Variation »Ye Olde Food« heißt ein aktueller Werkkomplex aus unterschiedlichen Videoarbeiten, der zunächst im Martin-Gropius-Bau in Berlin (2017), dann im Kunsthaus Bregenz und parallel im K21 in Düsseldorf zu sehen war und ist und sich ständig weiterentwickelt. Wie in einem rotierenden Kreisel endloser Loops jagt der virtuose Medienkünstler Ed Atkins seine Avatare durch ein künstliches Welttheater, das nun unterschiedlichste Motive und Bildtraditionen durcheinanderwirbelt.

Auf einer Ebene erscheint »Ye olde Food« tatsächlich wie eine Hommage an dieses sinnentleerte Musiktheater. Skulpturales Zentrum der auf drei Räume verteilten Installation bilden die vier riesigen Kleiderständer mit Kostümen aus dem Fundus der Deutschen Oper in Berlin. Die massive Präsenz der Kostüme aus Opern wie »Turandot«, »Aida«, »Moses und Aaron«, »Don Carlos« oder »Macbeth« unterstreicht umso mehr die Abwesenheit von realen Akteuren und Körpern. Liebe, Tod, Krankheit, Begehren, Melancholie und Vergänglichkeit, große Themen für die Oper und ihre digitalen Surrogate in Atkins verworrener Spielanleitung. Ergänzt werden die filmischen Bilder und übermannshohen Kleiderständer durch Texte an den Ausstellungswänden, die auf lasergeschnittenen, rohen Platten aufgedruckt sind. Es sind Zitate aus dem Internetblog »Contemporary Art Writing Daily«, ohne direkten Bezug zur Ausstellung und vor allem ohne erläuternde Funktion.

Atkins nutzt die digitale Bildproduktion, um zugleich auf ihre Verfallszeit hinzuweisen. So nahe die virtuellen Körper und Gegenstände auch an eine materielle Realität heranreichen, so offensichtlich lassen sie sich auch wieder auflösen. Besonders anschaulich, faszinierend und witzig führt er dies an einer Serie von Sandwiches aus; digitaler Food-Porn der ironischen Art; montiert aus Werbeaufnahmen. Dieses ist ein weiterer Themenblock, in dem man sich die Werbemontagen metaphorisch einverleiben kann. Verblüffend ist auch, dass Atkins für seine kunstvoll verwobenen Pixelphantasien meist auf Bestehendes zurückgreifen kann. Er selber programmiert eher wenig. So ist der Barde im lilafarbenen Rock einem Objekt entlehnt, wie es auf Foren wie TurboSquid zu erwerben ist.

Ed Atkins wird in der Kunstszene gepriesen, da er Versprechungen, Potenziale und Ideologien der von ihm verwendeten Technologien und Bildwelten kritisch hinterfragt. Immer öfter beeinflussen und durchströmen Datensammlungen reale Existenzen. Und auch die Mitteilung von Emotionen erfolgt zunehmend digital. Atkins folgt dabei in »Ye Olde Food« der Strategie des Theaters, Geschichten durch romantisierende Fiktionen zu neuem Leben zu erwecken. Eine besonders gut durchchoreographierte und inspirierende Installation, die man mit vielen Fragen oder philosophischen Gedanken verlässt. Ist »deprimieren« oder »deprimiert« sein ein radikaler Modus des Widerstandes in einer flach gewordenen homogenen Welt. Die unechten Tränen versiegen nicht. Doch anders als der Mensch, der trauert, weil er weiß, dass und was er verloren hat, simulieren die Avatare eine bizarre Melancholie. Wissen sie doch nicht einmal, was ihnen fehlt.

Sabine Maria Schmidt