vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 62

Portraits

Michael Beutler |  Rudolf Herz | Christoph Schlingensief | Elaine Sturtevant

Interview

Gèrard A. Goodrow

Page

Claudia u. Julia Müller

Ausstellungen

»Tauchfahrten« | »Formalismus«

Künstlerbeilage

Regina Möller

Portrait

Bambiland (Szenenfoto), 2003, Burgtheater Wien, Foto: Patrick Hilss

Textauszug

Christoph Schlingensief
Der politische und zeitkritische Charakter von Schlingensiefs Produktionen entfaltet sich über die Art und Weise, wie er performative Denkweisen und Artikulationen einsetzt und erneuert. Schlingensief knüpft ein Netz aus Wirklichkeit, Wirklichkeitsnähe und der gleich- zeitigen Betonung ästhetischer Konstruktion. Anstelle des reibungslosen Flusses wird disparates Rohmaterial derart nebeneinander gestellt, dass die Bruchstellen betont werden. Verstärkt wird dieser Effekt durch unvor- hersehbare Aspekte, die Schlingensief in jede Produktion mit einbezieht und die dadurch konstituierend sind: Laiendarsteller, Behinderte, Publikumsreaktionen, in den Texten angelegte offene Passagen. Dokumentarisches und Improvisiertes wird in dramaturgisch durch- komponierte Szenen eingeblendet. Zudem werden scheinbar zusammenhangslose Neben- erzählungen eingestreut, die die lineare logische Abfolge ebenfalls stören.

Das, was häufig als bloße Provokation missverstanden wird, sind Erkundungen der Frage, ob Kunst politisch sein kann und inwieweit das auch eine formale Frage ist. Jede Produktion oder Aktion ist für Schlingensief ein Abenteuer, das vor allem ihm selbst neue, durch den Prozess der Arbeit ausgelöste Erkenntnisse vermittelt. Schlingensief setzt sich dabei zwischen alle Genre-Stühle und erzeugt eine unglaublich hohe Virulenz. Das Spiel mit den Medien ist immer von vornherein Bestandteil seiner Collagen: Aus den allermeisten Kritiken lassen sich mühelos die von Schlingensief dem Kritiker eingeflüsterten Kommentare heraus- lesen. Anders aber als Godards eingeflüsterte Kommentare in »2 oder 3 Dinge, die ich von ihr weiß« verweben sich Werk, Kommentare des künstlerischen Produzenten und öffentliche Reaktionen zu einem Spiel mit offenem Ende.

Anna Catharina Gebbers