Portrait

Ohne Titel (Ticket XV/2), 2021, Öl, Acryl, Bleistift, MDF, 180 x 130 cm, Foto: Mareike Tocha

Textauszug

Christof John
Christof John antwortet auf das zwischen Nah- und Fernsicht sich unentwegt verändernde und nie stillstehende Sehen mit einem »nie endenden Bild«, wie er selbst seine Intention charakterisiert. So wie Bildeindruck auf Bildeindruck folgt, lösen variierende Sequenzen aus den einer Arbeit zugrunde liegenden Rastern und Farbkombinationen einander ab, die sowohl eine gewisse Ordnung als auch deren stetig mutierenden Wandel beschreiben. Beispielsweise ist die Oberfläche von »VoorR. IV« (2021) relativ durchgängig in einem kleinteiligen schachbrettartigen Muster gestaltet, das die vielfältig geöffnete und bewegte Gesamtform vereinheitlicht, gleichzeitig aber durch sanfte Farb- und Richtungswechsel gekennzeichnet ist. Einem riesigen Oktopus gleich, scheint »VoorR. IV« in der Lage, die äußere Gestalt und das Farbenkleid zu verändern und gegenseitig anzupassen. Der Eindruck einer solchen Verwandlung vor den eigenen Augen verdankt sich dem Einsatz von kreuz und quer übereinandergelegten Ordnungssystemen, deren Transparenz bzw. durchbrochene Struktur dafür sorgen, dass sie sich miteinander mischen und den daran anhaftenden Blick sowohl leiten wie auch immer wieder ablenken und dadurch Bewegung und Veränderung suggerieren.

Die verblüffende Wandlungsfähigkeit dieser eigenwilligen Farb-Form-Gebilde verlangt von den Betrachtenden mit ihnen in Interaktion zu treten. Es ist dieselbe Interaktionsbereitschaft, die für ihre Entstehung unabdingbar ist. Dementsprechend werden die aus dem Arbeitsprozess des Ateliers entlassenen Arbeiten nicht aufgrund ihrer absoluten Perfektion, sondern im Sinne ihrer Komplexität als Ergebnis eines iterativen Prozesses aus Handlung am und mit dem Material und deren Prüfung, der wiederum die nächste Handlung folgt, usw. als abgeschlossen erklärt. Dabei wird das Material selbst zum gestaltenden Akteur. John begreift den Träger, meist Holz oder MDF, als plastisches Material, das er mit seinem Körper und den Körper verlängernden Hilfsmitteln wie dem Bleistift, der Farbe oder der Säge erfasst. Malerische Formen, die auf der Fläche stattfinden, können sich in einem zweiten, dritten oder x-ten Schritt als Scherenschnitt oder Cut out in der Materialität wiederfinden. Diese kontinuierliche Durchformung des Materials in Resonanz zum eigenen Körper macht die Arbeiten zu plastisch und farbig wirksamen Wesen, die sich zum Raum und den darin anwesenden und sich bewegenden Körpern der Betrachtenden auf konkrete Weise verhalten.

Die einzelnen abgeschlossenen Werke stehen für sich und sind gleichzeitig Manifestationen der übergeordneten Arbeit an dem nie endenden Bild. Jedes Bild beschreibt eine spezifische Sequenz eines Langzeitprojekts. Folgerichtig kommt es immer wieder zu Variationen mit ähnlicher Motivik. Beispielsweise kann im nächsten Versuch der Farbkontrast erhöht werden. Das Ergebnis ist nicht vorhersehbar und wird wieder neue Untersuchungen nach sich ziehen. Christof Johns Bildwerke verhalten sich als ein Gegenüber, das durch seine Offenheit und seinen prozessualen Charakter gekennzeichnet ist. Sich darauf einzulassen, setzt eine Aktivierung der Sinne in Gang und öffnet neue Räume, die überwältigende Emotionen reiner Freude und Freiheit freisetzen können.

Sabine Elsa Müller