Portrait

controlling the moonlight maze, 2002, Installationsansicht: neugerriemschneider, Berlin, 2002, Verschiedene Materialien, Aluminium, 365 x 1058 x 987 cm,
© Michel Majerus Estate, Courtesy neugerriemschneider, Berlin. Foto: Jens Ziehe

Textauszug

Michel Majerus
Der 20. Todestag von Michel nun wird dieses und nächstes Jahr im großen Rahmen begangen, nämlich mit der Ausstellungsreihe »Michel Majerus 2022«, die deutschlandweit an gleich 18 Stationen künstlerische Arbeiten von ihm zeigt. Dabei sind zum Beispiel der Kunstverein in Hamburg, der die »digitalen Gemälde« des Künstlers präsentiert, die Berliner KunstWerke, die die frühen Arbeiten in den Fokus nehmen und der Neue Berliner Kunstverein, der Michels raumgreifenden Installationen vorstellt. Dazu kommen noch Präsentationen unter anderem im Sprengel Museum in Hannover, dem Lenbach-Haus in München, der Staatsgalerie Stuttgart, dem Neuen Museum Nürnberg und in der Kunsthalle Mannheim. Und selbstverständlich machen auch das Michel Majerus Estate und die Galerie neugerriemschneider in Berlin bei dieser großangelegten Ausstellungsreihe mit. Im Frühjahr 2023 soll dann zudem unter dem Titel »The Sense Machine« eine Einzelausstellung im Museum Mudam Luxemburg stattfinden.

Im Frühsommer 2002 noch konnte ich des öfteren bei der Konzeption und Produktion von Michels letzter und wohl wichtigster Rauminstallation »controlling the moonlight maze«, 2002, anwesend sein. Er zeigte mir frühe Planungen auf seinem Laptop, und wir diskutierten manchmal stundenlang über Details, etwa ob das blaue Lebkuchenherz mit der banal-liebevollen Aufschrift »Herzliche Grüße« in der unteren rechten Ecke eines der vier Bilder der Installation, genauer: das mit der verzerrten US-amerikanischen Flagge, als scheinbar völlig sinnloses »Augenzwinkern« für diese Arbeit wirklich nötig sei oder nicht. Ich war damals übrigens dagegen, aber der Künstler … Auch durfte ich »helfend« zu sehen, wie Michel gemeinsam mit seinem Assistenten »Basti« im Hinterhof vor seinem Prenzlauer Berg-Atelier – heute finden dort die Ausstellungen des Michel Majerus-Estate statt – die Siebdrucke für »controlling the moonlight maze« anfertigte. Das Drucken wurde also unter freiem Himmel durchgeführt, trotzdem trugen Michel und »Basti« zum Schutz vor giftigen Dämpfen meist sicherheitshalber eine Gasmaske.

Die schließlich, unter anderem nach mehreren »Nachtsitzungen«, vollendete Installation »controlling the moonlight maze« diskutiert anhand von vier für Michel typischen »Postpop«-Bildwelten so sinnlich wie intelligent die diffizilen Relationen von Raum und Rahmen, Bild und Blick. Dazu sind die vier großformatigen Bilder in einem speziell angefertigten Edelstahlgerüst demonstrativ auf unterschiedliche Weise im Ausstellungsraum eingerahmt: mal vor dem blinkenden Gerüstrahmen, mal direkt hinter ihm, mal auf der Wand und mal mitten in diesem aufwendigen Rahmen platziert. Diese vier unterschiedlichen »Kunst-Verortungen« treten dann in einen subtilen Dialog mit diversen Raumkonzepten, die in den in der beschriebenen Art präsentierten Bildern formuliert werden. Das wohlausbalancierte Spektrum reicht da von expressiver Flächigkeit über collagierte Schichtung bis hin zu im quasi virtuellen Bildraum simulierter Dreidimenionalität. Die damals von mir ins interpretative Spiel gebrachte Absage Michels an eine »dezidiert politische Aussage« trifft aber, und dieses wird immer noch oft übersehen, durchaus nicht auf alle seine künstlerischen Arbeiten zu. Auch in der Konzeption der Ausstellungsreihe »Michel Majerus 2022« ist Michels politische Seite leider kaum berücksichtigt. Bedenkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, dass Michel in seinen Notizbüchern – dazu am Ende dieses Textes mehr – des öfteren den Kapitalismus kritisiert, zum Beispiel verurteilt er diesen als »Wahnsinnsstruktur«, als »Krisenzeit« und als »dekadent«. Zutreffend stellt er außerdem fest: »Nur privilegierte Menschen können sich den Weg zur etwas offeneren Welt begünstigen«.

Ein gutes Beispiel für sein dezidiert politisches Arbeiten ist die Installation im öffentlichen Raum »Sozialpalast«, 2002: Das Brandenburger Tor in Berlin Mitte hatte Michel damals mit einem Foto des sogenannten »Sozialpalastes« verhängt, nur die Quadriga war noch zu sehen. Die von 1974 bis 1977 gebaute Wohnanlage in Schöneberg galt lange als »Schandfleck«, als »Wohnmaschine« für »Asoziale«, als »Ghetto« gar. Das Abbild dieses sozialen Brennpunktes setzte Michel provokativ vor eines der »Wahrzeichen« Berlins und lud so die tourismustaugliche Geschichte der »Sehenswürdigkeit« Brandenburger Tor mit der brutal-brutalistischen Gegenwart des »Sozialpalastes« auf – die eindeutig politische Dimension dieser Installation ist offensichtlich. So fragt diese Arbeit unter anderem danach, welche Bilder im »imaginären Museum« (André Malraux) unseres eben nur vermeintlich »eigenen« Kopfes abgespeichert werden und welche eben nicht. Dass Macht und Ökonomie hier eine entscheidende Rolle spielen, liegt auf der Hand. Nebenbei bemerkt: Der »Sozialpalast« ist die wohl mit Abstand meist gesehenste Installation von Michel, denn nicht nur wurde diese Kunst im öffentlichen Raum außerhalb eines, letztlich immer ein wenig elitären Kunstraumes gezeigt, und zwar an einem besonders gut besuchten Ort im Zentrum der Hauptstadt. Zudem wurde diese Arbeit, mehr oder weniger versehentlich, allabendlich live im Fernsehen übertragen. Der TV-Sender »Phoenix« zeigte damals als Hintergrund für seine TVNachrichten stets ein Live-Bild des Brandenburger Tors – und auf diesem hing für einige Wochen überraschenderweise der »Sozialpalast«.

Raimar Stange