Portrait

Carrie Mae Weems, Sheep 2003, The Louisiana Project: Missing Link, Edition 1/5,
Courtesy: Jack Shainman Ga / llery (New York), Galerie Barbara Thumm (Berlin)

Textauszug

Carrie Mae Weems
Programmatisches: Jüngst waren Arbeiten von Carrie Mae Weems im Württembergischen Kunstverein Stuttgart in der beinahe retrospektiven Einzelausstellung »The Evidence of Things Not Seen« zu sehen. Im Begleitheft zu dieser ersten größeren Präsentation in Deutschland wird die Programmatik der Künstlerin von Iris Dressler, die gemeinsam mit Hans D. Christ diese Ausstellung kuratiert hat, treffend so beschrieben: »Carrie Mae Weems beschäftigt sich in ihren Werken mit der Befragung und Aneignung dominanter historischer Erzählungen, wie sie von (Bildungs-) Institutionen, Wissenschaft, Kunst, Architektur, Denkmälern, Fotografie und anderen Massenmedien erzeugt und reproduziert werden. Durch das Aufsuchen und Nachstellen dieser Erzählungen legt sie die darin ungehörten und ungesehenen Geschichten marginalisierter Gruppen frei.« Und: »Im Vordergrund … steht die lange Geschichte der Gewalt gegen People of Color, Frauen und sozial Benachteiligte, der Weems eine ebenso lange Geschichte des Widerstands entgegensetzt.«

Hip-Hop zum Zweiten: Ein gutes Beispiel für diese Programmatik ist Carrie Mae Weems Fotoserie »Queen B.« (2018 – 2019). Im Zentrum dieser schon verführerisch schönen Arbeit, die von der Künstlerin übrigens ursprünglich für das US amerikanische Modemagazin »W« konzipiert wurde, steht die »Queen of Hip-Hop-Soul« Mary J. Blige. Die in New York City geborene »farbige« Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin wird hier von Carrie Mae Weems im historisierenden Stil opulenter Stillleben des niederländischen Barock vorgestellt. In dieser Neuinterpretation des alt(un)ehrwürdigen Genres aber ist die Woman of Color nicht mehr nur eine gezwungenermaßen devot bedienende Sklavin im Hintergrund des Bildes, stattdessen wird Mary J. Blige in dieser Geschichte zitierender Erzählung als selbstbewusste und luxuriös gekleidete Protagonistin präsentiert. Diese subtil kritische Aneignung der Ästhetik von eurozentrischen »Alten Meistern« gelingt hier nicht zuletzt durch eine weitere Appropriation, nämlich durch das konkrete Nachstellen der künstlerischen Methode der inszenierten Fotografie, die Carrie Mae Weems hier in ihrem Transfer von Malerei, dem Medium des »Vorbildes«, in die Fotografie von »Queen B.« so reflektiert wie selbstbewusst durchführt.

Museumsreife: In Carrie Mae Weems’ Fotografien der »Museum Series« (seit 2006) wird klug die Unterrepräsentation von »schwarzen « Künstlern und Künstlerinnen in den bedeutenden Museen der Welt problematisiert, immer noch haben es diese schwer, sich dort präsentieren zu können. Die sachlich-zurückhaltende und dennoch eindringliche Serie zeigt auf jedem Bild eine ganz in Schwarz gekleidete Woman of Color stehend vor berühmten Museen, zu sehen nur von hinten. Sie befindet sich in gebührendem Abstand zum Beispiel vor dem Louvre in Paris, dem Guggenheim Bilbao, dem Dresdner Zwinger. Diese dermaßen in Szene gesetzten Frauen, es ist jedesmal Carrie Mae Weems selbst, blicken fokussiert in Richtung der hier überlebensgroß erscheinenden »westlichen« Museumsarchitekturen. Da die Frauen aber nur rücklings zu sehen sind, wirken ihre Figuren gleichsam entindividualisiert, sie stehen, wenn man so will, für die People of Color-Künstlerin an sich.

Epilog: Neben ihrer künstlerischen Arbeit, die konzipiert ist vor allem für eine Rezeption im White Cube von Ausstellungshäusern, engagiert sich Carrie Mae Weems auch mit ihrer aktivistischen Kunst, die oftmals im Kunstbetrieb »unter den Tisch fällt«, gerade im Kontext der aktuellen documenta 15 und deren Konzept der kollektiven sozialen Verantwortung aber durchaus bemerkenswert ist. So hat die Künstlerin zum Beispiel 2020 im US-amerikanischen Dallas das Projekt »Resist Covid/Take 6« gestartet. Gemeinsam mit ihren Mitstreitern hat die Künstlerin eine Plakatkampagne initiiert, die vor allem People of Color- Communities in den USA aufklären sollte über die Risiken der Pandemie. »Wash your hands, cover your face, keep a save distance & get tested« - diese Aufforderung wurde damals nicht nur auf großen Billboards, sondern zudem auch auf Flugblättern, Buttons und sogar Fächern so breitenwirksam wie möglich kommuniziert.

Raimar Stange