vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 126

Portraits

Claus Föttinger | Jonas Weichsel | William Kentridge | Laurel Nakadate

Interview

Dirk Luckow

Page

Karin Sander

Portrait

Cloud Strip I (Farben für Oldenburg), 2020, Acryl auf Wand, 91 x 600 cm , Courtesy Galerie Thomas Schulte and the artist

Textauszug

Jonas Weichsel
Übertragen auf die Ausstellung von Jonas Weichsel bedeutet es, dass wir dort ein komplexes Werk unterschiedlicher Bilder kennenlernen. Sie reichen vom kleinen DIN-A4-Format bis hin zum großen Wandbild mit all den unterschiedlichen Implikationen, die eine solche Formatwahl für die Rezeption mit sich bringt. Über die Präsenz der Farbe entscheidet, ob der Künstler Acryl, Öl oder gar keine Pigmente (wie in seinen Scans) verwendet, ob er die Farbe mit dem Pinsel, der Rolle oder Sprühpistole aufträgt und welchen Bildgrund er wählt, ob Wand, Leinwand, Polyester, Kupfer oder Aluminium. Davon hängt auch ab, ob die Farbe auf dem Bildgrund steht oder mit ihm verschmilzt, sie sich lasierend oder opak zeigt und welche Wirkung für den Betrachter von ihr ausgeht. Was indes in allen Werken ähnlich ist, ist ihre Abstraktion, wie unterschiedlich sie im Einzelnen auch aussehen mag.

Eine Abstraktion, die ihre Wurzeln im Konstruktivismus hat und in der amerikanischen Minimal Art. Auf einen solchen Bezug hat Jonas Weichsel in einer seiner Ausstellungen selbst einmal aufmerksam gemacht. Dort präsentierte er sein Bild, »TC, Dia I« (2016), in Nachbarschaft von u. a. zweier Werke von Donald Judd. Als Wortführer der Minimal Künstler hat Judd einst verkündet, es brauche in der Kunst eine Art von »Urmeter«, also eine ästhetische Norm, sonst sei »alles nur Show und Getue«. Die Sehnsucht nach einer solchen Objektivierung hat Judd und seine Kollegen dazu gebracht, in ihrer Kunst auf uralte Formen von Symmetrie und Proportion zurückzugreifen. Sie auch motiviert, sich bei ihren Werken für industrielle Materialien ihrer Zeit wie Stahlblech, Aluminium und Glas zu entscheiden, worin ihnen Weichsel zum Teil folgt. Und auf den größtmöglichen Verzicht einer persönlichen Handschrift, worin Weichsel ihnen gleichfalls folgt. Ja, indem er seinen Pinsel, jedenfalls in den »TC«-Bildern, von einer Maschine und einem digitalen Algorithmus steuern lässt, sie sogar noch übertrifft. Es scheint, als gehorche Jonas Weichsel, der wie selbstverständlich mit dem Computer und seinen Anwendungsmöglichkeiten aufgewachsen ist, dabei der kanonischen Empfehlung von Charles Baudelaire, der den Künstlern seiner Generation zurief: »Il faut être de son temps.«

Weil Weichsel sich für seine künstlerische Arbeit nicht selten der Mithilfe eines mechanisch operierenden Malapparates versichert sowie der Möglichkeiten der Digitalisierung, hat man seine Malerei letzthin als indexalisch qualifiziert. Der Begriff kommt aus der amerikanischen Semiotik. Geprägt wurde er von Charles Sander Peirce. Nach seiner Theorie lassen sich Zeichen, und damit auch Bilder, grundsätzlich in dreierlei Weise begreifen: ikonisch, indexalisch und symbolisch. Diese Eigenschaften bestimmen das Verhältnis des Zeichens zum Bezeichneten. Ist der Bezug ikonisch, herrscht Ähnlichkeit zwischen ihnen. Ist er indexalisch, hängen sie im Ursprung miteinander zusammen. Und ist er symbolisch, gibt es einen Sinnzusammenhang zwischen ihnen. Wobei die symbolische Ebene in der Kunst, die am weitesten anspruchsvollste, weil am wenigsten kodierte und oft erst noch zu etablierende ist. Da Weichsels Kunst im weitesten Sinn von der Nutzung von Apparaten mitbestimmt wird, ist es durchaus richtig, auf die indexalische Prägung seiner Malerei hinzuweisen. Aber das Apparative macht keine Aussagen über die Sinndimensionen seiner Bilder. Daher soll hier der Versuch eines Blickwechsels unternommen werden. Weg vom Indexalischen seiner Kunst hin zum Symbolischen in ihr. Das ist umso schwieriger, als seine Werke erkennbar keine gegenständliche Signatur haben, nicht ikonisch und damit auch nicht offen narrativ sind. Wir müssen dem Symbolischen in ihnen erst einmal auf die Spur kommen.

I m Zentrum der Oldenburger Ausstellung steht das für sie entstandene Wandbild »Cloud Strip (Farben für Oldenburg)«, 2020. Wie so oft bei Weichsel ist auch hier der Titel aufschlussreich, macht doch der Künstler mit seinem Hinweis auf die Cloud deutlich, dass der Ausgangspunkt des Werks eine Bilddatei ist. Sie wurde von der Festplatte des Computers in die Cloud ausgelagert, wo sie, sicher gespeichert, jederzeit wieder abgerufen werden kann. Sie enthält alle Angaben zum Werk, das der Künstler, vor dessen manueller Ausführung durch seine Assistenten, in Form und Farbe präzise komponiert hat. Es besteht aus einer Komposition, die 600 cm lang und 91 cm hoch ist. In ihr sind wenige Millimeter breite Pinselstriche in unterschiedlichen Farben nebeneinandergesetzt. Sie wurden mittels einer ausgeplotteten Folie direkt auf die Wand aufgebracht und sind kaum merklich durch ihr Weiß voneinander getrennt. Die Pinselstriche gewinnen diskret Stand – ebenso wörtlich wie symbolisch – indem sie unten in einer Dreiecksform auslaufen. Ihr antwortet, nicht weniger symbolisch, ein Oben, das nicht nur schmaler ist, sondern auch farblich heller als ihr Unten. Mit allen sich damit verbindenden Konnotationen von Schwere und Leichtigkeit wie des Chthonischen und Ätherischen. Nur en passant sei in dem Zusammenhang erwähnt, dass für Piet Mondrian die Vertikale den Menschen repräsentierte, die Horizontale dagegen die Welt. In dieser Vorstellung steht Jonas Weichsels Mensch, vorgestellt durch die Armada seiner Vertikalen, mit den Füßen fest auf der Erde, während sein Kopf sich sichtbar in den Wolken aufhält.

Jonas Weichsel ist ein pictor doctus. Ein gelehrter Maler. Nicht, weil er seiner Kunst viel Bücherweisheit hinzufügen würde, sondern weil er als homo faber die technischen und digitalen Möglichkeiten seiner Zeit nutzt. Doch bei seinem Versuch, die infinitesimalen Möglichkeiten der Farbe in rationalen Systemen und Dispositiven zu erfassen, stellt er immer wieder fest, dass sie eigenen Gesetzen folgt. Abhängig von Licht und Perspektive wechselt sie ihre Physiognomie. Dabei wird sie zum Chamäleon, was den Künstler aber keineswegs frustriert, sondern stets aufs Neue entzückt. Das rechnet er gewissermaßen mit ein in sein künstlerisches Kalkül. Letztlich ist es das gelungene Zusammenspiel von Logos und Gefühl, Plan und Zufall, das den ästhetischen Mehrwert der Bilder von Jonas Weichsel ausmacht, was ebenfalls von hoher Symbolik ist. Es erinnert an den Eindruck, den die großen Aluminiumkuben von Donald Judd in der Artilleriehalle in Marfa auf den kunstsinnigen Pater Friedhelm Mennekes machten. Als sie sich im hellen Sonnenlicht in ein transzendentes Strahlen und Leuchten aufzulösen schienen, bemerkte Mennekes, er und Judd seien wohl in derselben Mission unterwegs. Es erinnert aber auch ganz allgemein daran, dass das Eigentliche der Kunst sich stets im Uneigentlichen manifestiert. In einem Dazwischen und Dahinter. Zwischen und hinter den Zeilen eines Gedichtes, den Tönen einer Melodie, den Modulationen der Farbe. Es aufzuspüren ist die eigentliche Aufgabe und das Privileg eines jeden Betrachters. Daher empfahl Bertolt Brecht, vor der Kunst solle jeder zu seinem eigenen Columbus werden. Nichts ist herausfordernder, aber auch lohnender, als sich den Werken von Jonas Weichsel in dieser Haltung zu nähern.

Michael Stoeber