vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 126

Portraits

Claus Föttinger | Jonas Weichsel | William Kentridge | Laurel Nakadate

Interview

Dirk Luckow

Page

Karin Sander

Portrait

Die Geschichte der SPD, 2019, Zwinger Galerie, Berlin, Foto: Claus Föttinger

Textauszug

Claus Föttinger
Die zur Interaktion aufrufende Installation »Die Zukunft der SPD« ist überaus typisch für die künstlerische Arbeit von Claus Föttinger, die meist geprägt ist durch das Ausspielen von konstruktiv werdenden Gegensätzen. Materialität, mal massiv, mal eher fragil, tritt zum Beispiel an gegen flüchtige Immaterialität. Solch Dualismus ist etwa dem dicken Holz des besagten Zeichenschrankes eingeschrieben, das beschienen wird von dem Licht der beschriebenen Lampe. Ein weiterer die »Zukunft der SPD« prägender Gegensatz ist der von Geschichte und Aktualität, der sich unter anderem in der von mir kurz vorgestellten Bilderauswahl ausdrückt. Dort findet auch der Dualismus vom »richtigen Leben« und medialer Präsentation statt, der sich ereignet in der Spannung von Motiv und Erscheinung der reproduzierten Fotos. Die Komplexe Fußball und Politik bringen den (vermeintlichen) Gegensatz von Freizeit und Arbeit, also von Low und High, ins Spiel. Und da ist nicht zuletzt der Gegensatz von passiver und aktiver Rezeption, der sich hier in durchaus dialektischer Wendung zu einer Symbiose zusammenfügt. So wird die hier vom Künstler inszenierte Bilderflut zunächst passiv rezipiert: Die BarbesucherInnen betrachten diese Bilder ohne aktiv in ihre Präsentation eingreifen zu können. Doch diese Passivität wird dann zu einer Aktivität, wenn die BarbesucherInnen sich auf Föttingers Angebot einlassen und sitzend an der Bar, möglicherweise ein Gläschen trinkend, beginnen sich über ihre Rezeption der Bilder mit Anderen, ebenfalls an der Bar sitzenden, BesucherInnen auszutauschen. Genau dann beginnt eine Form der Interaktion, die das installative Werk zu einer performativen Skulptur werden lässt.

Bezeichnenderweise bezeichnet Föttinger selbst seine Arbeiten, selbstverständlich in Tradition von Joseph Beuys, als »soziale Plastik«. Föttingers Kunst, die seit den 1980er Jahren meist als performatives Setting daherkommt, wird aber selten, trotz der offensichtlichen Nähe, der »relationalen Ästhetik« (Nicolas Bourriaud) zugeordnet, die seit den 1990er Jahren im Kunstbetrieb für Furore gesorgt hat. Dafür gibt es wohl mehrere Gründe, einer mag sein, dass Föttinger seine künstlerische Arbeit nicht in Berlin, dem neuen deutschen Zentrum für Bildende Kunst in den 1990er Jahren, entwickelt hat, sondern im damals fast schon unterschätzten Düsseldorf. Wesentlicher aber scheint zu sein, dass Föttingers Performativität eben nicht den Fehler macht, der über weite Strecken der »relationalen Ästhetik« oftmals nicht zu Unrecht vorgeworfen wurde, Rosalind Krauss vor allem hat früh darauf hingewiesen, nämlich den Fehler, im bloßen Hedonismus zu verharren.

Nomen est omen: Föttingers Installation »Luhmann-Eck«, 2004, spielt sowohl auf den Soziologen und Philosophen Niklas Luhmann wie auf das Genre Lokal an. Dazu hat der Künstler, erstmals übrigens in der Kölner Galerie Sprüth Magers, ein Spiegelkabinett aus gefundenen Spiegeln aufgebaut, die an zwei Wänden über Eck hängen. Im Zentrum der etwa 140 Spiegel, deren Installation die traditionsreiche Form der Petersburger Hängung zitiert, ist ein überlebensgroßes Foto: ein Starschnitt, von Niklas Luhmann, angebracht auf einem funktionierenden Kaffeeautomaten. In der Mitte des Raumes steht ein Bartresen in Form einer arg modernen, transparenten und rechteckigen Glaskonstruktion. Über dem Tresen schließlich hängt, wie es sich lange in einem deutschen Lokal nun einmal gehörte, ein großer Kronleuchter aus Hirschgeweihen. An dieser Bar nun kann Mann und Frau sich setzen, den selbst »gezapften« Kaffee trinken und sich, angeregt durch den Starschnitt und den Namen der Kaffeebar, über Luhmanns Systemtheorie und dessen Gedanken zu Kommunikation unterhalten. Die Spiegel laden zudem dazu ein, sich selbst und die eigene Rolle in diesem Diskurs zu diskutieren, bringen sie doch ganz konkret (systemische) Momente wie »Selbstkontrolle« und »Beobachtung zweiter Ordnung«, also auch den der Überwachung (man denke nur kurz an die Ladenspiegel im Supermarkt) ins Spiel. Dass dieses Spiegelkabinett mit seinen zuweilen durchaus irritierenden visuellen Reflexionen aber auch die gedanklichen Reflexionen erschweren könnte, zielt dann gleichzeitig ebenso auf die Infragestellung der intellektuellen Autorität des Denkers Luhmann wie die Tatsache, dass Föttinger in dieser Installation, anders als später bei »Die Zukunft der SPD«, auf die Präsentation von jedwedem Material verzichtet, das über den da angesagten Themenkomplex informieren würde. Zudem wird dieses ideologiekritische Moment noch unterstrichen durch den herrschaftlichen Prunk, den solch ein Spiegelsaal eben auch suggeriert, und der hindeutet auf das »Machtstreben, das den Anspruch eine Wissenschaft zu sein impliziert« (Michel Foucault). Last, but not least: Auch die aus Lautsprechern erklingende »Lieblingsmusik«, des Künstlers, wählbar über eine an der Wand stehende Jukebox, betont den nicht akademischen Charakter der Installation »Luhmann-Eck«.

Raimar Stange