Portrait

Installationsansicht, I Am The Single Work Artist, KW Institute for Contemporary Art, Berlin 2020,
Courtesy Sharjah Art Foundation, Foto: Frank Sperling

Textauszug

Hassan Sharif
Der arabische Künstler, der längst als »godfather of concept art in
the gulf« gilt, begann seine Karriere 1973 mit politischen Karikaturen
und ironischen Cartoons, die damals in Zeitungen und Magazinen
in den Arabischen Emiraten publiziert wurden, z. B. in dem damals
wöchentlich erschienenen Magazin »Akhbar Dubai«. 1976 wurden diese
Zeichnungen dann auch in Dubais »Zentralen öffentlichen Bibliothek«
in der ersten Ausstellung des Künstlers präsentiert. Sharif setzte sich
in diesen Arbeiten vor allem mit Themen wie der ungebremsten Modernisierung,
Industrialisierung und Kommodifizierung seiner arabischen
Heimat kritisch auseinander. Auf diese politische Grundhaltung
trifft man, manchmal ist es erst auf den zweiten Blick ersichtlich, in
unterschiedlicher Weise später immer wieder auch in seinen explizit
künstlerischen Arbeiten. 1979 dann beendete Sharif seine Tätigkeit als
politischer Kommentator und begann in Leamington Spa, in der
englischen Grafschaft Warwickshire, später in London, im Alter von
28 Jahren sein Kunststudium, im »Westen« also und nicht in den Arabischen
Emiraten.

Später wurden Hassan Sharifs Arbeiten deutlich objekthafter, setzten
sich nun meist aus handelsüblichen und eben nicht wertvollen Gebrauchsgegenständen
zusammen. Wie schon bei seinen Performances
versuchte der Künstler mit der Auswahl seiner Materialien also bewusst
nach gleichsam »anti-künstlerischen« und einfachen, jedermann
zugänglichen, eben nicht elitären Wegen. Ein gutes Beispiel hierfür
ist Sharifs Arbeit »Barrel«, 1985, bei der es sich um einen Nachbau
eines 159-Liter Ölfasses aus Papier, Pappe und Farbe handelt. Vorbild
für »Barrel« waren eben die rot-weißen Fässer, die bis heute nicht nur
in den Arabischen Emiraten zur temporären Sperrung von Straßen
genutzt werden. In diese Arbeit hat der Künstler zudem empirische
Untersuchungen zum Straßenverkehr textlich eingearbeitet. Trotz dieser
konzeptionellen Ergänzung erinnert das auf den ersten Blick täuschend
echt aussehende Fass offensichtlich an Bertrand Laviers übermalte
Objekte, die der französische Künstler bekanntlich in der Tradition
des Objet Trouvé seit Anfang der 1980er Jahre erfolgreich ausstellt. Für
eben diese offensichtliche Nähe zu bereits vorformulierten Ästhetiken
handelte sich Sharif immer wieder den Vorwurf ein, gerade in Europa
wurde dieser oftmals geäußert, er würde kein eigenständiges Werk entwickeln,
sondern sich mit »bloßer Nachahmung« (Ausstellungsfaltblatt
KunstWerke Berlin) begnügen. Auch wenn diese Kritik nicht gänzlich
unbegründet ist, so ist er doch auch geprägt von eurozentristischer
Arroganz. Ein europäischer Künstler nämlich wäre wohl kaum in dieser
Weise so heftig angegriffen worden, da hätte man sicherlich (mit
gleichem Recht) eher davon gesprochen, dass »bestimmte Ideen nun
einmal in der Luft lagen«.

Abschließend kurz zurück zu dem bereits von mir angesprochenen
Problem des von Hassan Sharif praktizierten pädagogischen
»Wissenstransfer« von damals aktueller »westlicher« Kunstproduktion
und -theorie in den arabischen Raum. Dafür »brach er mit den Konventionen
der Kunstproduktion im arabischen Raum und entwickelte
einen innovativen, experimentellen Ansatz (Ausstellungsfaltblatt Kunst-
Werke Berlin)«. Klingt doch erst einmal gut – wenn dieser »innovative,
experimentelle Ansatz« nicht einer gewesen wäre, der gleichsam importiert
wurde aus einem eurozentristischen Kunstbetrieb. Die diesem
Betriebssystem eigentümliche Entwicklung und Ausprägung, etwa die
ihm innewohnende logo- und anthropozentrische Struktur, wurde
von Sharif dann relativ ungebrochen übertragen auf die »moderne«
Situation in den Arabischen Emiraten - was in einer immer gleicher
werdenden Welt durchaus bis zu einem gewissen Maß tatsächlich auch
Sinn macht. Nicht zuletzt aber sichert diese Strategie dem Künstler und
der ihm folgenden Generation zudem eine Anschlussfähigkeit an den
»westlichen« Kunstbetrieb (inklusive seinen Markt).

Dieser künstlerische Ansatz führt aber auch zu einer künstlerischen
Sprache, die von der vor allem in Europa und den USA üblichen
kaum noch zu unterscheiden ist. So verortet sich solche Kunst nicht
(mehr) in heterogenen kulturellen Kontexten und erscheint daher eben
auch nicht als eine vielsprachige Mannigfaltigkeit. Stattdessen vermag
diese Kunst nur die nivellierenden postkolonialen Mächte, die der
neoliberalen Globalisierung von Anfang an eingeschrieben waren, zu
kritisieren, alternative, auch historisch gewachsene, Strukturen jedoch
können so kaum mehr bedacht werden. Genau davor aber ist zu warnen,
etwa in den Worten des französischen Kurators und Kulturkritikers
Nicolas Bourriaud aus seiner wichtigen Schrift »Radikant«, 2009, »...In
einer Epoche, in der die tausendjährigen Besonderheiten im Namen der
wirtschaftlichen Effektivität ausradiert werden, hält uns der ästhetische
Multikulturalismus dazu an, die vom Aussterben bedrohten kulturellen
Codes genauestens unter die Lupe zu nehmen«. Dank dieses Multikulturalismus
würde wenigstens »die zeitgenössische Kunst zu einem
Konservatorium der in der Realität der Globalisierung platt gewalzten
Traditionen und Identitäten«. Recht hat er!

Raimar Stange