Portrait

Ghost Group, 2015, Silver Gelatine Print mounted on Dibond, Edition 5 + 2 AP, 50 × 63 cm, Courtesy RaebervonStenglin, Zürich, Sies + Höke, Düsseldorf

Textauszug

Taiyo Onorato & Nico Krebs
Ihr Werk umkreist regelmäßig die Übergangszonen zwischen Dokumentation und Fiktion, tatsächlich Erlebtem und nachträglich Konstruiertem. Widersprüche, Paradoxien und Paradigmenwechsel innerhalb des Mediums Fotografie werden mittels spekulativer Bilderfindungen in nonchalanter Bricolage-Ästhetik anschaulich gemacht und ebenso kritisch wie hintersinnig reflektiert. Bereits in ihrem ersten gemeinsamen Projekt »Moment of Truth« (2003-2005) brachten sie eine mit Humor und Ironie unterfütterte Haltung zum Ausdruck, die dem Dogma des über jeden Zweifel erhabenen dokumentarischen Blicks, wie er seit den 1970er Jahren in Düsseldorf und anderswo den Fotografiediskurs bestimmt hatte, mit fantasievollen und eher spielerisch aufgefassten Arbeiten gegenübertrat. Die in dieser Serie entstandenen Aufnahmen, etwa von einer gigantischen Echse, die an einer Hochhausfassade emporklettert, einer auf einer Matratze aufgebahrten Marylin Monroe oder einem Hund mit Affenkopf waren derart offensichtlich gefakt, dass sich jegliche Diskussion über ihren möglichen Wahrheitsgehalt erübrigte.

Ihr 2015 im Fotomuseum Winterthur und 2016 in der Düsseldorfer Galerie Sies + Höke erstmals in Form größerer Ausstellungen präsentiertes, aufwendig angelegtes Projekt »Eurasia« ist das Resultat von insgesamt vier Reisen, die die beiden Künstler mal zusammen, mal getrennt voneinander unternahmen. Entschleunigung pur: Als Transportmittel wählten sie statt des Flugzeugs einen Geländewagen Marke Toyota Landcruiser aus dem Baujahr 1987. All diesen Road Trips gemeinsam war die Durchquerung verschiedener ehemaliger Sowjetrepubliken, die heute unabhängige Staaten sind, in östlicher Richtung mit Ulaanbaatar, der Hauptstadt der Mongolei, als Endziel. Unter anderem passierten sie auf ihrer 15.000 Kilometer langen Fahrt Russland, die Ukraine, Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan, und Kasachstan. Ihnen begegneten mal mehr, mal weniger autoritäre Regime und bürokratische Einreiseprozeduren, jedoch immer wieder neugierige und überaus gastfreundliche Menschen. Was sie auf diesen bis zu vier Monate langen Expeditionen vor allem entdeckten, war der Widerstreit zwischen Tradition und Wandel, zeitliche Asymmetrien, kulturelle und ästhetische Phasenverschiebungen, kurzum: die sowohl faszinierende wie auch erschreckende Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in den überwiegend postsowjetischen, heute teilweise turbokapitalistischen Gesellschaften. Der Osten des eurasischen Territoriums entpuppte sich dabei als eine Art Terra Incognita, eine visuell bisher erstaunlich wenig erforschte Parallelwelt. Während insbesondere der amerikanische Westen und seine eingängige Ikonografie zum festen Bestandteil unseres kollektiven Bilderfundus gehören, erweist sich das von Mitteleuropa theoretisch sogar auf dem Landweg erreichbare, jedoch weit abgelegene eurasische Territorium als ein weitgehend unerforschtes Gebiet voller Mythen, jahrhundertealter Rituale und Geheimnisse. Dazu Taiyo Onorato: »Zumindest in unserer Kultur gibt es nur eine geringe Vorstellung davon, was in den Kulturen des Ostens existiert. Für uns glich der Osten eher einem schwarzen Loch, das es zu erhellen galt und viel Platz bot für unsere eigenen Projektionen.«

Taiyo Onorato & Nico Krebs präsentieren niemals nur Einzelbilder. Bedeutungszusammenhänge erzeugen sie dadurch, dass sie ihre Aufnahmen in Büchern oder wie in Winterthur in Form einer Zeitung präsentieren, oder sie in installative Displays einbauen und so ein Geflecht von Querverbindungen, Analogien und Nachbarschaften erzeugen. Eindeutige Erzählungen geben sie nicht vor. Der Betrachter ist vielmehr aufgefordert, das Material in eine eigene Ordnung zu bringen.

Nicole Büsing / Heiko Klaas