Portrait

Achim Riethmann, D 02, 2015, Aquarell auf Papier, 93 × 183 cm

Textauszug

Achim Riethmann Anja Schrey Lea v. Wintzingerode Ulrich Wulff
»Realistische« Malerei ist wieder einmal en vogue. Kein Wunder, lässt sich die traditionsreiche künstlerische Strategie des Realismus doch als überaus unterschiedlich kodierbare Folie einsetzen, als ästhetische Oberfläche, die kunsthistorische Fragestellungen ebenso behandeln kann wie z. B. kulturkritische, biographische, zeichentheoretische oder politische. Im folgenden Text möchte ich anhand der Kunst vierer junger Künstler bzw. Künstlerinnen prägnante Beispiele für dieses derzeit nicht nur in Deutschland aktuelle Phänomen kurz vorstellen.

Achim Riethmann diskutiert mit seiner Kunst die Möglichkeit, politische Themen mit Hilfe von ästhetischen Bildern zu verhandeln. Also einen Blick auf Achim Riethmanns Bilderserie »W«, 2013, geworfen: Auf kleinformatigen Aquarellen ist jeweils ein überaus realistisch gemalter Mensch zu sehen, rücklings, meist laufend und etwas werfend. Die Kleidung der dargestellten Menschen lässt vermuten, dass es sich hier um Männer handelt, ihre Bewegungen erinnern an die Handlungsabläufe, die man während »gewalttätigen« Demonstrationen oder Aufständen sieht. All dieses bleibt ein Stück weit unbestimmt, weil die Figuren auf dem Papier quasi freigestellt sind, d.h. es ist weder ihre Umgebung dargestellt, noch z. B. das, was von ihnen geworfen wird: Steine? Molotov Cocktails? Holzplanken? Der Realismus des Berliner Künstlers ist also ein hybrider, denn die besagte überaus präzise, beinahe schon fotorealistische Malweise wird gemischt mit den gerade von mir beschriebenen Auslassungen, die das zu erkennende Geschehen einer klaren Zuordnung entziehen. So ist die hier zu sehende Wut - der Titel wird wohl auf eben diesen emotionalen Zustand anspielen - einerseits klar erkennbar, andererseits wird er, bar jedweder konkreten Zeit- und Raumstelle, in eine Allgemeinheit überführt, die sie fast schon archetypisch erscheinen lässt.

Auf eine ganz andere Weise reduziert erscheint der fast schon minimalistische Realismus der Malerin Anja Schrey. Ihre neueren Bilder konzentrieren sich zumeist auf architektonische Motive: Ihre »Wandstücke« (Arne Reimann) stellen Mauern oder zugemauerte Fenster und Türen vor, dargestellt in großformatigen Malereien, Lack oder Acryl auf Leinwand bzw. Papier. Nahezu maßstabsgetreu sind diese Mauern, mal aus weißen Ziegelsteinen und grauen Fugen, mal aus schwarzen, dann aus rot-braunen Ziegelsteinen zusammengesetzt, auf den Bildträger gebracht in scheinbar unendlicher Wiederholung und fast schon mit beängstigender Akkuratesse. Stoisch wird hier ein Strich nach dem nächsten gesetzt, eine beinahe meditativ anmutende Fleißarbeit vollziehend, die nicht von ungefähr an die minimalistische Arbeit von Agnes Martin erinnert. Werden diese Mauern, lapidar meist mit »Mauer« oder auch mal mit »weißer Mauer« betitelt, ausgestellt, dann hängen sie in den Wänden im Innenraum als Displacement, das den Außenraum illusionistisch hereinholt in den white cube. Dieses kalkulierte, überaus ästhetische Spiel von innen und außen nun hat durchaus psychologische Dimensionen, ist doch »the wall« (Pink Floyd) eine vielsagende Metapher für das problematische Verhältnis von (sich entwickelnder) Innenwelt und den Anforderungen von »der Welt da draußen«.

Verglichen mit Anja Schreys Malerei wirkt die künstlerische Arbeit von Lea von Wintzingerode überbordend narrativ und fast schon poetisch. Ihr figürlicher Realismus bewegt sich meist, so scheint es zunächst, an der Grenze zum Surrealismus und weist immer auch genreübergreifende und konzeptionelle Züge auf. Ein gutes Beispiel für ihre komplexe Ästhetik ist das Bild »(the look) off the snake«, 2014, das sie im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit dem Werk des Malers Marc Chagall gemalt hat. In der linken unteren Ecke des Bildes ist dann auch ein Frauengesicht zu sehen, das den Stil Marc Chagalls zitiert. Gleich gegenüber ist eine zweite Frau gemalt, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Auf diesem Rücken ist dann der Raum aus Velasquez’ Gemälde »Die Hoffräulein«, 1656, mit kargen Strichen von der Künstlerin angedeutet. Dieses Zitat stellt, wie schon die rücklings gezeigte Frau und der Titel der Arbeit, die Frage nach dem Sehen und Gesehenwerden eines Kunstwerkes. In der Mitte des Bildes ist zudem ein illustres Figurenpaar platziert, das sich verführerisch tanzend auf einer Dachterrasse bewegt – (erotische) Sinnlichkeit und ihre (dämonische) Kraft stehen hier wohl zur Disposition. Recht schemenhaft dargestellte modernistische Hochhäuser schließlich erscheinen im Hintergrund, ein Baum, ein Stück Natur also, steht am rechten Bildrand.

Ein sinnenfreudiges Duell von Realismus versus Abstraktion schließlich steht bei Ulrich Wulff zur Disposition. Gleichwertig treffen da die beiden Modi, der jeweils eine Modus relativiert bei dem sich dabei ereignenden Aufeinanderprallen den »Wahrheitsanspruch« des anderen – und so also auch den des eigenen Modus gleich mit. Typisch für die so lapidare, vielleicht sogar ironische, wie auf den ersten Blick »schöne« Ästhetik des Berliner Bildhauers und Malers ist z. B. sein Bild »D.h.«, 2012: Das Hochformat, Öl auf Leinwand, zeigt auf schwarzem Hintergrund, der durch vertikale rote Striche an den Rändern zuweilen aufgelockert wird, in der oberen rechten Ecke ein stark stilisiertes Selbstporträt. Ein halbmondähnlicher Kopf, gemalt in hellblau, ist da zu sehen, dazu sind diesem zugleich charakteristischem und comichaftem Profil die Augen, Nase und Mund in roten Strichen eingefügt. Unter diesem dennoch durchaus wiedererkennbarem Konterfei dann hat Wulff eine abstrakte, rot/blau/hellgrüne Komposition in das Bild gesetzt, die ein wenig an die ungegenständlich-dekorative Ästhetik der 1950er Jahre erinnert. Ein verspielt-reduzierter Realismus und souverän hingeworfene Ungegenständlichkeit sind auf »D. h.« parallel geschaltet – ohne dass der eine künstlerische Modus dem anderen die Show stiehlt.

Raimar Stange