Artist Ausgabe Nr. 109

Portraits

Nick Koppenhagen | Lili Reynaud Dewar | Rochelle Feinstein | Albert Oehlen | Jimmie Durham

Interview

Susanne Titz

Page

Michael Schmid

Edition

Michael Schmid

Portrait

Ausstellungsansicht/Installation view, 2016, Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München, Courtesy the artist and On Stellar Rays, New York

Textauszug

Rochelle Feinstein
HYPERHYBRID: Die künstlerische Kritik am modernistischen Internationalismus, à la Piet Mondrian z. B., ist ein zentrales Moment der Kunst von Rochelle Feinstein. Dazu »kreuzt« die US-amerikanische Künstlerin abstrakte Formensprachen immer wieder mit Strategien der Pop Art der 1960er Jahre, der Fluxus-Bewegung, der Marke Dieter Roth etwa, sowie der Concept Art. Das Resultat ist eine gewissermaßen »hybride« Kunst, der es gelingt jedweden ideologisch-hegemonialen Anspruch von einzelnen Kunstströmungen zu »durchkreuzen«. Zudem kontaminieren Feinsteins Arbeiten der letzten 30 Jahre – das Jahr 1987 gibt sie selbst als entscheidenden Wendepunkt ihrer Kunst weg von bloß formal orientierter Ästhetik an – die Idee von »freier« Kunst überhaupt: Statt hehrer Autonomie und »interesselosem Wohlgefallen« (Immanuel Kant) tritt bei der 1947 in New York City geborenen Feinstein nämlich der Moment gelebter, also geliebt und gelittener Alltäglichkeit auf den ästhetischen Masterplan.

ENTGITTERT: Ein gutes Beispiel für diese Arbeitsweise ist ihr Tableau »Travel Abroad«, 1997 – 1998. Ausgangspunkt für dieses fünfteilige Ensemble war eine Europareise der Künstlerin, genauer: ihre Reise nach Italien und Deutschland im Frühjahr 1997. Auf der linken Seite der Arbeit thematisiert Feinstein ihre »italienische Reise« (Goethe), auf der rechten Seite die direkt anschließende Reise nach Deutschland. In der Mitte hängt, als Readymade in der Nachfolge Marcel Duchamps, ein kleines Päckchen, in dem das Papier des Terminkalenders der »italienischen Reise« Feinsteins von ihr von Italien nach New York geschickt wurde. Diesen Terminkalender hat die Künstlerin auf der »italienischen Seite« übersetzt in eine rasterförmige Struktur aus 30 Rechtecken, in ein abstraktes Gitter à la Piet Mondrian, das dann aber, entgegen der Intention der modernistischen Internationale, doch mit konkreten wie alltäglichen Inhalten gefüllt ist. Die 30 Rechtecke, die jeweils für einen Tag von Feinsteins Italienaufenthalt stehen, sind mit Restaurantrechnungen, Eintrittskarten für Museen, die sie besucht hatte, und mit diversen von ihr damals gekauften Lebensmittelpackungen gefüllt – durchaus vergleichbar mit Andy Warhols »Time Capsules« hat Feinstein hier also so etwas wie ein »objekthaftes« Tagebuch installiert.

Schon angesichts ihrer Kritik am Modernismus hat Feinstein von der Spannung »zwischen dem normativen Verhalten des Rasters und meinem eigenen?… Daneben-Benehmen als abstrakte Künstlerin« gesprochen. Dieses kalkulierte »Daneben-Benehmen« wird in »I made a Terrible Mistake« ausgebaut zu einer dezidierten Strategie des »wrong«, des Falschmachens. Wie schon Sigmund Freud in seiner Theorie des Versprechers, so sieht nämlich auch Rochelle Feinstein nicht zuletzt im zugelassenen Fehler ein Potenzial, sich selbst jenseits von gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen gerecht zu werden. Der eingangs von mir erwähnte Dieter Roth hat einst ähnlich gedacht und davon gesprochen, dass der Fehler ebenso okay sei wie das Nichtkönnen: »wer das Instrument nicht beherrscht, der kann der Wildeste sein«, lobte der Fluxus-Artist – Recht hat er.

Raimar Stange