Artist Ausgabe Nr. 87

Portraits

Heinrich Modersohn | Gerwald Rockenschaub | Alicja Kwade | Angela Bulloch | Luis Gordillo

Interview

Hubertus Gaßner

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Brigitte Waldach

Künstlerbeilage

Wolfgang Ellenrieder

Interview

Prof. Dr. Hubertus Gaßner, Direktor Hamburger Kunsthalle, vor der Hamburger Kunsthalle (Galerie der Gegenwart), © Hamburger Kunsthalle, Foto: Ellen Coenders

Textauszug

Hubertus Gaßner
J.Krb.: Das klassische Bürgertum war vielerorts Initiator von Museums- und Kunstvereinsgründungen. Auch die Hamburger Kunsthalle wurde als bürgerliche Institution gegründet. Allerdings löst sich das klassische Bürgertum zusehends auf. Wer ist künftig ideeller und materieller Träger von Museen. Sind die Museen Auslaufmodelle oder werden sie um so wichtiger als Gedächtnisspeicher in unserer schnelllebigen Zeit?

H.G.: Ich bin kein Kulturpessimist. Wenn sich die visuelle, auditive und intellektuelle Kultur durch die Allgegenwart und Beschleunigung der neuen Medien im globalen Maßstab rapide verändert, brauchen wir die Museen, wo die Bilder sich nicht bewegen, nicht sprechen und nicht auszuschalten sind, nicht flimmern und nicht zum Betrachter kommen, vielleicht gerade als Orte einer anderen Bildkultur. Als Orte der Entschleunigung und des Eigenrhythmus, wo ich die Zeit der Betrachtung der Bilder und ihren Wechsel selbst bestimme. Diese Art des Sehens bleibt sicher auch in künftiger Zeit ein anthropologisches Bedürfnis, weil wir körperliche Wesen sind, deren Sinnestätigkeit sich nicht unendlich beschleunigen lässt ohne dass wir das Gleichgewicht zwischen Bewegung und Ruhe verlieren und krank werden.

J.Krb.: Konzentrieren sich die Museen auf ihr Kerngeschäft, sind sie zwar dem Ideal des Museums nahe, ziehen aber weniger Besucher an. Setzen die Museen auf Blockbuster-Ausstellungen stimmen die Einschaltquoten, aber sie entfernen sich mehr und mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe und machen sich als Museum überflüssig. Wie wollen Sie diese Quadratur des Kreises durchbrechen?

H.G.: Zur Zeit suchen die Hamburger Kunsthalle ca. 20% der Besucher wegen ihrer ständigen Sammlung auf und 80% wegen der Wechselausstellungen. Daraus zu schließen, wir könnten deshalb die Sammlungen einfach schließen, weil das enorme Betriebskosten einsparen würde, ist aber meines Erachtens ein Trugschluss, da die Menschen auch deshalb zu den Ausstellungen kommen, weil diese in einem renommierten Haus stattfinden, das erst einmal für die Qualität der Wechselausstellung bürgt. Dieses Renommee gewinnen die Museen aber vor allem durch ihre Sammlungen - auch dann, wenn sie weit seltener als die Wechselausstellungen besucht werden. Sie sind so zu sagen das Standbein, auf dem das Museum steht, während die Wechselausstellungen das Spielbein sind. Wir machen sowohl Ausstellungen komplett aus dem Bestand oder ergänzt um einige Leihgaben, aber ebenso Ausstellungen, die komplett mit Leihgaben bestückt sind oder glatte Übernahmen - hierfür gibt es keine Tabus. Die Mischung macht es, um einen Zuspruch der Besucher zu erreichen, der das Haus auch wirtschaftlich trägt. Bei uns bedarf es hierzu ca. 480.000 Besucher im Jahr.

Joachim Kreibohm