Artist Ausgabe Nr. 87

Portraits

Heinrich Modersohn | Gerwald Rockenschaub | Alicja Kwade | Angela Bulloch | Luis Gordillo

Interview

Hubertus Gaßner

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Brigitte Waldach

Künstlerbeilage

Wolfgang Ellenrieder

Portrait

Parallelwelt (schwarz/rot), 2009, 2 Kaiser-idell Lampen, 2 Spiegel, 83 x 45 x 45 cm, © Alicja Kwade, Courtesy Johann König, Berlin, Foto: Roman März

Textauszug

Alicja Kwade
Nicht zufällig taucht auch der Begriff des »Aggregatzustands« auf, mit dem Alicja Kwade eine Reihe von Arbeiten betitelt hat. Er bezeichnet qualitativ verschiedene, temperatur- und druckabhängige physikalische Zustände von Stoffen. Veränderungen des Aggregatzustandes entstehen unter anderem durch Schmelzen, Erstarren, Gefrieren, Verdampfen oder kondensieren. Alicja Kwades Umgang mit Stoffen entspricht weniger einem traditionellen Materialbegriff. Viele ihrer Arbeiten beruhen auf gesammelten Fundstücken, die in völlig neue Zusammenhänge gestellt werden und auch ungewohnte Materialeigenschaften suggerieren.

Oft scheint es, als ob eine geheimnisvolle übersinnliche Kraft die Dinge beeinflusst hätte. Vor allem der gebogene Spiegel, der auch in anderen Installationen immer wieder auftaucht, erinnert an die »weichen Uhren« Salvador Dalís und andere zerfließende Objekte, die auf surrealistischen Gemälden das Außer-Kraft-Setzen gewohnter physikalischer Gesetze sowie Raum- und Zeitvorstellungen anzeigen.

Immer wieder gibt es in Kwades Werk Anspielungen auf parapsychologische Phänomene, sie greift wissenschaftliche und pseudowissenschaftliche Theorien auf, nicht um sie zu belegen oder zu widerlegen, sondern ihnen gleichsam einen poetischen Funken zu entlocken. Viele ihrer Werke suggerieren die Existenz einer »Parallelwelt«, so auch der Titel eines Objekts, bei dem sich eine grüne und eine blaue Tischlampe im Bauhaus-Look an einem zweiseitigen Spiegel direkt gegenüberstehen. Der Spiegel, das die Surrealisten zutiefst faszinierte und René Magritte zu intensiven Visionen »unmöglicher« Projektion und Jean Cocteau zu einem filmischen Einstieg in ihn inspirierte, scheint bei Kwade die physischen Dinge selbst zu verdoppeln. Die Künstlerin fragt immer wieder nach der Identität der Dinge und der Relativität von Bedeutungen und Wertmaßstäben. Sie interessiert sich für Materialien, die symbolisch schnell lesbar sind, zum Beispiel hohen Wert und Reichtum suggerieren. Gold ist ‚wertvoll’ und deshalb nehmen wir einfache Kohlebriketts, selbst wenn sie wie im Laden in Bündeln zusammengestapelt sind, fast wie Schmuckstücke wahr, wenn eine Schicht aus Gold sie bedeckt, was Kwade in mehreren Varianten realisiert hat. Hier klingt auch die Tradition der Alchemie an. Dass aus niederen Stoffen Gold werden kann, lässt sich als Sinnbild für den künstlerischen Prozess gelten, der oft auf einer rational nicht einfach erklärbaren Transformation wertlosen Ausgangsmaterials beruht. Dabei geht es auch um den Wert der aus Kohle gewonnenen Energie.

Ludwig Seyfarth