vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 36

Portraits

Achim Bitter | Gunter Reski | Plamen Dejanov u. Swetlana Heger | Tony Oursler

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abr-stuttgart

Künstlerbeilage

Veronika Schumacher

Interview

Bernd Hammehle und Sven O. Ahrens

Textauszug

B. Hammelehle & S. O. Ahrens
J.K.: Im allgemeinen gelten die Schwaben als grundsolide, sparsam und bedächtig. "Schaffe, schaffe Häusle baue" - eine Spruchweisheit, die gern in Verbindung mit dem Schwabenländle gebracht wird. Sie haben kein Haus gebaut, sondern 1994 in Stuttgart eine Galerie eröffnet. Zu einem Zeitpunkt, als die Diskussion über die Krise der Kunst und des Marktes einen Höhepunkt hatte. Warum die Gründung zu diesem außergewöhnlichen Zeitpunkt?

S.O.A.: In solchen Sinnsprüchen steckt ja oft mehr Wahrheit als man denkt. Wir sind hier in Stuttgart aufgewachsen und uns ist die schwäbische Mentalität wahrlich nicht fremd. Darum war es nur logisch für uns, hier und nicht in Köln oder Berlin eine Galerie zu eröffnen.

B.H.: Uns hat es immer gereizt, antizyklisch zu arbeiten. 1993 gab es für die Künstler unserer Generation, die uns interessierten, kaum ein öffentliches Forum ?? für uns war es zwingend, in diesem Klima und gerade in Stuttgart etwas auf die Beine zu stellen. ...

J.K.: Sie scheinen kulinarischen Genüssen nicht abgeneigt zu sein: Zigarre, Rotwein und dergleichen. (Allgemeines Lachen) Sind für Sie sinnliche Genüsse in der Kunst ein Pendant zu den kulinarischen? Sind sie mehr Kopf- oder Bauchmenschen, überwiegt bei Ihren Entscheidungen Intuition oder Reflexion?

B.H.: Die genannten Genußmittel dienen uns als Bio-Katalysatoren, die die Kunstrezeption unterstützen. Die Beurteilung von Kunst bedingt jedoch sowohl Intuition als auch Reflexion.

S.O.A.: Häufig sind wir auf Arbeiten sehr intuitiv zugegangen, haben dann aber einen sehr ausführlichen Austausch ?? zum Teil über Jahre hinweg ?? mit dem/der jeweiligen Künstler/in geführt, woraus sich dann oft eine Zusammenarbeit entwickelt hat. ...

J.K.: Ist für Sie eine lÕart pour lÕart Haltung nicht mehr zeitgemäß? Wie bestimmen Sie das Verhältnis von Autonomie und Nützlichkeit in der Kunst?

B.H.: Beide Möglichkeiten treten nebeneinander auf und stellen sich gegenseitig nicht in Frage. Es ist ja auch nicht im Sinne des Erfinders, wenn künstlerische Arbeiten auf Teufel komm raus mit Benutzeraspekten versehen werden. Die autonome Arbeit wird es immer geben, genauso wie benutzbare Arbeiten.

J.K.: Beispielsweise ist das Werk von Stefan Kern zwischen autonomer Skulptur und Nützlichkeit angesiedelt. Insbesondere die Präsentation seiner Arbeit als "Statement" in Basel war gelungen, weil durch die Präsentation der kommunikative wie nützliche Aspekt zurückgedrängt wurde und eine wirkliche Ambivalenz entstanden ist.

B.H.: Stefan Kern ist ein gutes Beispiel für beide Aspekte. Er schafft eine wohlproportionierte Skulptur mit austarierten Volumina und bietet darüber hinaus ?? aber auch nicht immer ?? eine Benutzung an. Er ordnet sich aber nicht dem menschlichen Körper unter, macht also keine Konzession an Design. Seine Skulpturen werden neben dem visuellen Aspekt im Gebrauch erfahren, indem man z.B. etwas zu niedrig sitzt, dem Körper das Volumen, die Ecken und Kanten aufgedrängt werden. Es geht ihm hier also nicht nur um den Gebrauch, der Betrachter/Benutzer begreift die Skulptur in der Benutzung. Unsere Absicht in Basel war, die Skulpturen pur, ohne Plazierung als Skulptur mit Funktion, zu präsentieren, um die genannte Ambivalenz transparent zu machen.

S.O.A.: Sie sprechen hier das Problem von Producer und User an. Beide Ebenen waren bisher voneinander getrennt und funktionierten wie selbstverständlich homogen und in sich geschlossen. Spannend wird es, wenn diese Ebenen in eine Form der Interaktion treten und sich gegenseitig fordern. Diese Irritationen führen zu neuen Fragestellungen und Erfahrungen. Die Frage "wie wird mit Kunst umgegangen" ist unserer Meinung nach für Künstler, Vermittler und Rezipienten die augenfälligste Auseinandersetzung der letzten Jahre...

Joachim Kreibohm