Artist Ausgabe Nr. 54

Portraits

Hans Schabus | Jürgen Witte | Candice Breitz | Tacita Dean | Amelie von Wulffen

Interview

Veit Görner

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Peter Piller

Ausstellungen

»On Stage«

Künstlerbeilage

Stefan Wissel

Interview

Textauszug

Veit Görner
J.K.: Und Ihr neues Aufgabenfeld als Direktor der Kestner Gesellschaft?

V.G.: Diese Situation ist eine ganz andere. Die Kestner Gesellschaft ist ein altes Schlachtroß in der Kunstszene, eine Pretiose, die sich durch die Art und Auswahl der Ausstellungen eine große Reputation erarbeitet hat. Was dazu führte, daß viele Leute von dieser Reputation schwärmen, ohne jemals hier gewesen zu sein. Nach der Ägide von Carl Haenlein, einem Dino in der Ausstellungsszene, mit fast 30jähriger Amtszeit an ein- und derselben Stelle wird es notwendig, sich rückzubesinnen: Was ist die Aufgabe der Kestner Gesellschaft, was war der Gründungsimpuls? Und der war ganz klar formuliert als ein progressives Gegengewicht zum damals, 1916 traditionell und konservativ agierenden Kunstverein. Hier gilt es, die entsprechenden Ableitungen für die Gegenwart zu formulieren.

J.K.: Die Paradigmen im Ausstellungswesen haben sich verschoben. Die Museen haben ihr angestammtes Terrain erweitert und versuchen, sich auch auf dem Feld zeitgenössischer Kunst zu bewähren. Kunstvereine, ihrem Selbstverständnis zeitgenössischer Kunst verpflichtet, haben auf diese Entwicklung defensiv reagiert und sich museal ausgerichtet. So gerieten die Vereine in eine Art Legitimationskrise, an der sie nicht ganz unschuldig waren. Gottlob können wir heute beobachten, daß einige Kunstvereine konsequent auf Zeitgenossenschaft setzen. Vice versa sind die Museen in die Kritik geraten. Ihnen wird vorgeworfen, zu sehr auf Zeitgenossenschaft zu schielen, sich in Abhängigkeit zu Sammlern zu begeben und die typischen Aufgaben wie Präsentation, wissenschaftliche Aufbereitung und Pflege der Sammlung zu vernachlässigen. Wie bestimmen Sie Rolle und Funktion von Kunstverein und Museum?

V.G.: Ich teile Ihre Einschätzung unter dem Schlagwort »denn sie wissen nicht, was sie tun«. Dieses Konkurrieren und Buhlen um Publikum hat in der Tat zu Verwirrungen geführt. Neben den von Ihnen angesprochenen Aufgaben kaufen Museen aber auch aktuelle Kunst, und sofern sie im Kontext dieser Ankaufspolitik ein künstlerisches Werk vertiefen und mit Ausstellungen verbinden, ist das legitim. Das Museum hat die historisch gewachsene Aufgabe, eine Kontinuität im Verlauf der Kunstgeschichte zu wahren, diese Kontinuität abzubilden, zu pflegen, wissenschaftlich aufzubereiten und in Ausstellungen zu dokumentieren. Das Museum argumentiert aus seiner Sammlungsaufgabe heraus. Hingegen sind die Kunstvereine Mitgliedervereine, die gegründet wurden, um in den Städten eine Auseinandersetzung mit junger Kunst zu betreiben und auch die lokale Künstlerschaft zu fördern. Diese lokale Anbindung und regionale Verankerung halte ich für wichtig und ebenso die Orientierung an einem jungen Programm. So verstehe ich bis heute nicht, wie der Stuttgarter Kunstverein unter Andrea Jürgensen mit Frank Stella beginnen konnte, das ist eine absolute Verwirrung. Ebensowenig verstehe ich, daß eine Staatsgalerie Stuttgart einen Lokalmatador zeigt, der dort normalerweise sein Geld als Anstreicher für Wände verdient und wirklich keine überregionale Bedeutung hat. Und dann gibt es noch dieses Modell der Kunst-hallen wie die Schirn in Frankfurt oder das Haus der Kunst in München, die generell ein breites Spektrum abzudecken haben, von keltischen Grabungsfunden über Arnold Schönberg bis zu chinesischer Keramik oder Themenausstellungen wie »Blut« oder »Shopping«.

J.K.: Anforderungsprofile haben sich verändert. Früher standen kunstgeschichtliche und kunstwissenschaftliche Kenntnisse im Vordergrund, heute sind betriebswirtschaftliche Kenntnisse, Marketingerfahrungen und eloquentes Auftreten gefragt. Halten Sie Szenarien, daß ein Kaufmann ein Museum führt, für denkbar?

V.G.: Das wäre eine absolut fatale Entwicklung, denn die programmatischen Inhalte müssen von einer Person bestimmt werden, die diese Inhalte auch beurteilen kann. Eine Kulturinstitution ist keine Bank. Wirtschaftliches Know how ist zwar auch für Kulturinstitute notwendig, aber kann und darf nicht die Inhalte bestimmen. Als »Inhaltedirektor« benötige ich einen Kaufmann für die Bilanzen, genauso wie der Bankdirektor den Kunsthistoriker als Fachmann für Kunstbelange haben sollte.

J.K.: Sie betonen stets die Gegenwartsrelevanz von Kunst. Geraten Sie mit diesem programmatischen Ansatz in das Fahrwasser des Kunstvereins?

V.G.: Ich denke nicht. Wir werden uns stärker international orientieren. Stephan Berg nannte unsere Aufgabe »Weltkunst« zu zeigen.

Joachim Kreibohm