Artist Ausgabe Nr. 54

Portraits

Hans Schabus | Jürgen Witte | Candice Breitz | Tacita Dean | Amelie von Wulffen

Interview

Veit Görner

Page

Peter Piller

Ausstellungen

»On Stage«

Künstlerbeilage

Stefan Wissel

Portrait

Alien (Ten Songs from Beyond), 2002, DVD Installation, Video Still, Courtesy of galleria Francesca Kaufmann, Milan

Textauszug

Candice Breitz
Berlin-Kreuzberg im Sommer 2002: Wir trinken ein kühles Helles an einem überaus kitschigen Bartresen. Um uns herum überall Spiegel, eine glitzernde Diskokugel, und protzig gerahmte »Starschnitte« von Popgrößen wie Madonna, Bruce Springsteen oder Hot Chocolate. Links in der Ecke wartet eine kleine Bühne mit Mikrophon, Videomonitor und Mischpult. Nach und nach füllt sich der Raum, alternde Schwule und aufgedonnerte Hausfrauen, aufgeregte Reisegruppen, aber auch ganz »normale« Zeitgenossen in Trainingsanzughose und T-Shirt kommen jetzt in die Karaoke-Bar »Cheetah«, in die mich Candice Breitz geführt hat. Dort will sie mit ihrem Sprachkurs vom Goethe-Institut - die Künstlerin frischt dort gerade ihre Deutschkenntnisse auf - ein kleines Abschiedsfest feiern. Aus Südamerika kommende Studenten, ein schüchterner Koreaner, mehrere US-Bürger und drei Franzosen gehören zu dieser quirligen Gruppe, alle warten aufgeregt auf ihren Auftritt. Denn das ist klar: Jeder hier muß vor das Publikum treten und einen selbst ausgesuchten Song zum Besten geben. Völlig egal ob man singen kann, völlig egal ob der Text geläufig ist oder nicht, schließlich läuft dieser auf dem Videomonitor für den, frei nach Andy Warhol, »Star für dreieinhalb Minuten« deutlich lesbar ab.

Zurück nach Berlin, denn dort produzierte Candice Breitz jüngst ihre bisher letzte Arbeit »Alien (Ten Songs from Beyond)«, 2002. Wieder sind auf Monitoren singende Mitbürger zu bewundern. Ein junger Türke etwa schmettert an einer Kreuzberger Straßenkreuzug den links-anarchistischen Schlachtruf »Keine Macht für Niemand« der legendären Polit-Rockband »Ton Steine Scherben«. Auf dem nächsten Monitor steht ein Nigerianer in einem Parkgelände und singt die deutsche Nationalhymne, immer noch mutet dies irgendwie merkwürdig an, besonders da der Text, wie auf allen Monitoren, in englischer Sprache als Untertitel eingeblendet wird. Auf dem dritten Monitor ist es eine Ukrainerin, die am Berliner Alexanderplatz den Schlager »Jenseits von Eden« intoniert, überraschenderweise aber mit unüberhörbar männlicher Stimme und deutlich kölschem Akzent. Spätestens jetzt wird deutlich, daß die zehn von Candice Breitz dermaßen Gefilmten - es handelt sich um in Berlin lebende Nicht-Deutsche - nicht die selben sind, deren Stimmen von den Monitoren zu hören sind. Diese Stimmen nämlich »gehören« zu deutschen Staatsbürgern, die allerdings unsichtbar bleiben.

Raimar Stange