Artist Ausgabe Nr. 51

Portraits

Beate Gütschow | Bernhard Martin | Jeppe Hein | Markus Selg | Clay Ketter | Sophie Calle

Interview

Christoph Keller

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Dieter Froelich

Künstlerbeilage

Andreas Karl Schulze

Polemik

Textauszug

»Im Jammertal«
Sie halten sich für etwas besseres als der Rest, weniger aus Überzeugung, denn aus dem Willen heraus, anders zu sein. Die Rede ist nicht vom Künstler, sondern vom Berliner, dem dort Geborenen oder Alteingesessenen. Wie jeder gute Bundesbürger hat auch er seine Reflexe, die zurzeit fast täglich aufgerufen werden müssen. Diese Reflexe rufen dann zur Verteidigung des Vorgartens, des Kiezes oder der liebgewordenen Oper oder Galerie auf. Nach der Zeitenwende schien etwas Ruhe aufgekommen zu sein, aber dafür sind die Zeiten jetzt umso aufregender. Da wird Besitzstandswahrung zu einem gefährlichen Unternehmen, weil sie die eigene Person dabei in Frage stellt. Wie soll ein echter West-Berliner mit einem rot-roten Regierungsbündnis fertig werden? So wie es der richtige Ost-Berliner mit der großen Koalition getan hat? Dafür kann dieser sich jetzt auf das vierte und endlich richtige Rosa-Luxemburg-Denkmal freuen. Und auf eine Kunstpolitik, die endlich wieder den kleinen Mann zu Worte kommen lassen will.

So ist und bleibt die Hauptstadt Berlin in ihrer Funktion als künstlerisches Aushängeschild wohl auch in Zukunft bloße Behauptung und kaum Realität. Die zeigt sich in der Peripherie, in der Provinz, in den Ritzen, Fugen und Brüchen, die tatsächlich noch existieren. Wieweit diese Widersprüche in eine institutionelle Struktur übertragen werden können, ist die Frage, die einer Beantwortung bedarf. Dafür aber muß wahrscheinlich erst eine Institution erfunden werden.

Thomas Wulffen