Essay

Dan Perjovschi, Spectacle and Boat (Venice Drama), 2019, Courtesy the artist

Textauszug

»Zynismus in der Kunst: Schiffe versenken«
Auf der Zeichnung »Venice Drama«, 2019, von Dan Perjovschi ist ein riesiger »Luxusliner« zu sehen, krachend kollidiert er mit
einem viel, viel kleinerem Schiff, einem Flüchtlingsboot, und versengt dieses mit gnadenloser Konsequenz. Genauer: der schmucke »Luxusliner« zerstört hier eben das Boot, das der schweizer Künstler Christoph Büchel jetzt auf der Venedig Biennale skandalträchtig zur Schau stellt.

Genauso aber spielt der Künstler mit seiner intelligenten Zeichnung an die skandalösen Flüchtlingsdramen an, die sich längst nahezu jeden Tag im Mittelmeer ereignen und allein in diesem Jahr schon zu weit über 500 Toten geführt haben. Auf diese existenziellen, von der EU, insbesondere der italienischen Regierung, politisch gewollten Dramen nämlich referiert besagtes Flüchtlingsschiff von Christoph Büchel, das dieser in Form eines höchst umstrittenen Readymades auf der diesjährigen 58. Venedig Biennale unter dem Titel »Barca Nostra« (deutsch: unser Schiff) als offiziellen Beitrag platziert hat.

Das »Büchel boat« hat auf der Venedig Biennale, dort aufgebockt am Rande des Hafenbeckens, überwiegend für negative Schlagzeilen gesorgt oder positiv formuliert: kalt ließ das Flüchtlingsschiff so gut wie niemanden.

Christoph Büchel verteidigte sich prompt: »Das Schiff ist zu einem symbolischen Objekt geworden, das nicht nur den Opfern des tragischen Ereignisses im Jahr 2015 und den Menschen, die an seiner Bergung beteiligt waren, gewidmet ist, sondern auch unser aller Verantwortung als Vertreter einer Politik, die solche Wracks verursacht«. Auch wenn Büchels Intention durchaus überzeugt, so bleibt doch, wie so oft bei seinen Arbeiten, der Beigeschmack, um es vorsichtig zu formulieren, der kalkulierten Provokation und des mediengerechten Zynismus.

Im letzteren Sinne hat der Zynismus längst in der Bildenden Kunst Konjunktur, man denke nur an Santiago Sierras fast schon sadistische Aktionen, bei denen »illegale« Hilfsarbeiter extrem schlecht bezahlte Schwerstarbeit verrichten oder öffentlich masturbieren mussten.

Oder man denke an Peter Friedls Installation »Kill and Go«, 1995, mit der der dreifache documenta-Teilnehmer mithilfe einer Installation auf dem Europahaus in Wien faschistische Rhetoriken dekonstruierte.

Oder man denke an das Zentrum für Politische Schönheit seine interventionistische Aktion »Flüchtlinge fressen – Not und Spiele«,
die sich, wie Christoph Büchel ja auch, mit der »Flüchtlingskrise« und den verkehrstechnischen Optionen von Flucht und Migration beschäftigte.

Zynismus ist heute real, ja fast schon prägend für unsere politische Situation - darum auch sprach das »Zentrum« zutreffenderweise über seine Aktion als »hyperreales Rom«. Wenn Kunst also heute noch etwas mit Realität zu tun haben will, dann darf sie sich der Strategie des Zynismus nicht verweigern.

Raimar Stange