Portrait

Rips Messina sr, fb 0901 (Messeteppich auf Galerieboden), Installationsansicht Galerie Mitte, Bremen, 2019

Textauszug

David Hepp
Anfang dieses Jahres hatte David Hepp seine erste Einzelausstellung in Bremen. Die Überschrift des Auftritts in der Galerie Mitte, zugleich Titel des Werks, lautet ebenso schlicht wie verschlüsselt »Rips messina sr, fb 0901«. Der Name greift die Produktbezeichnung des verwendeten Materials auf und lässt den lapidaren Charakter des künstlerischen Zugriffs anklingen: Der Künstler legt einen Industrie-Teppich auf dem Galerieboden aus. Das Ergebnis entspricht weder handwerklichen Normen noch funktionalen Zwecken: Der Teppich wölbt sich, schlägt unregelmäßig Beulen und Falten, hebt sich mit stofflichem Eigensinn hervor, wird zum Objekt, in dem Sockel und Skulptur verschmelzen. Hepps Vorgehen basiert auf einem denkbar einfachen Prinzip: Die Auslegware ist maßstabsgetreu minimal vergrößert. Das Material schmiegt sich nicht zu Schutz und Dekor dem Galerieraum an. Vielmehr reibt es sich an ihm, überwältigt und überfordert ihn, stellt den Kamm hoch, stülpt aus sich selbst eine Bodenlandschaft hervor, die den Besucher auf einen barrierereichen Parcours schickt, ihn ins Werk holt, ihn zum Perspektivenwechsel zwingt, der die Arbeit permanenter Veränderung unterzieht. Im Aufeinandertreffen des Stoffs mit dem Raum ergibt sich eine offene Gestalt, der Wirkungsradius des Werks korrespondiert übergriffig mit dem Ausstellungsraum und nimmt ihn in sich auf. Ein reales, gleichwohl schon künstlerisch imprägniertes Fundament erfährt eine quasi naturalistische Nachbildung im Bodenbelag. Die minimale Größenverschiebung schafft eine Schwellenwelt, einen neuen Deutungskosmos, eine offene Projektionsfläche. Der Raum und damit auch der institutionelle Kontext sind markiert und zur Disposition gestellt. Das Objekt hebt sich heraus und ist zugleich in Konstellationen gesetzt. Geht die Kunst auf in dem Format ihrer Präsentation? Stellt sie vermessene Ansprüche? Erweist sie sich als lebensfähig, wenn sie sich der Außenwelt und damit ermessender Rezeption aussetzt?

Maß genommen hat Hepp auch in der Bremer Weserburg. Für seinen Auftritt in der Meisterschülerausstellung 2018 legt er Nivellierplättchen in eine Raumflucht zwischen zwei Fenstern, die als einziger Ort im Haus die Lage der Architektur in ihrer Breitenausdehnung erkennen lässt. Mit der Installation der Plättchen, die gemäß ihrer Dicke unterschiedliche Farben tragen, zieht Hepp einen ebenso idealen wie imaginären Raum in das Gebäude ein. In diesem fiktiven wie realen physischen Bedingungen gehorchenden, minimal markierten Raum ließe sich nun das Absolute als eine Kategorie des Ästhetischen positionieren. Ebenso gut aber könnte gerade der vorgefundene realistische Raum als Folie für eine der erkennbaren Wirklichkeit verpflichtete Kunst sein. Maßstäbe und Kategorien geraten hier erneut in Widerstreit. Räume treten sich gegenüber und zeigen sich in der Differenz. Verschiedene Wirklichkeiten und verschiedene Zugangswege zur Wirklichkeit ringen miteinander, nicht zuletzt geraten das subjektiv Sichtbare und objektivierende empirische Zugänge zur Welt aneinander. Hepp macht die Museumsarchitektur selbst zum Ort der Wahrnehmung, er setzt ein abstrahiertes, absolutes Bild einer empirischen Erfahrung aus direktem Augenschein gegenüber. Dabei spielt er präzise auf die Ortsspezifik an. Tatsächlich ist die Weserburg auf Sand gebaut und offenkundig und messbar neigt sie sich der Weser zu. So ist es wenig verwunderlich, wenn Besucher beim Blick nach draußen, zu dem die Fenster herausfordern, etwas aus dem Kunstraum in die Stadtwahrnehmung mitnehmen, die sanfte Neigung des Ausstellungsbezirks zum Umraum hin, vielleicht ein Sinnbild für die Neubelebung des Blicks durch Kunst. Dem antizipierten Blick des Besuchers aus dem Weserburg-Fenster antwortet der Künstler mit der Platzierung eines behauenen Marmorsteins auf der Uferbefestigung. Fügt sich das aus Kunstmaterial geschaffene Objekt der Umgebung an, lässt es sie eher ganz neu sehen oder erstmals überhaupt wahrnehmen? Trägt Kunst mit zur Befestigung des Ortes bei, stellt sich das Ästhetische wehrhaft auf oder hat es diesen Zweck nicht eigentlich schon immer?

Rainer Beßling