vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 111

Portraits

Bethan Huws | Alexandra Bircken | Julian Öffler | Annette Kelm | Katja Aufleger

Interview

Christina Végh

Page

Arne Schmitt

Edition

Arne Schmitt

Essay

Roland Schappert: LOVE ABSOLUTELY, 2017, lichtechter Druck einer virtualisierten Wandmalerei und realen Landschaft auf Aluminium, © R. Schappert und VG Bild-Kunst, Bonn 2017

Textauszug

»Fundamental Digital«
Das Gespenst der Digitalisierung gehört zum guten Ton. Wo nichts zu befürchten ist, kann auch nichts gewonnen werden. Der digitale Arbeitnehmer Computer organisiert sich mit seinen allumfassenden Netzwerken unaufhörlich weiter und versetzt uns bald in paradiesische Zustände. Was kommt? Wenn die Electronic Devices, das Internet der Dinge und die flexibel beweglichen Roboter endlich die Arbeitswelt unter sich aufteilen, wird uns viel Zeit zum Nachdenken bleiben. Vielleicht nur einen Tag in der Woche arbeiten... Ist das nicht eine große Verheißung? Wir werden endlich genug Zeit für Freizeit, Familie und Ausstellungsbesuche haben.

Die Frage, seit wann Computer die Regierung unterstützen und sogar mitwählen, ersetzt inzwischen die Frage nach der Angleichung des Intelligenz-Koeffizienten von Mensch und Maschine. So entpuppte sich Trump als einer der letzten klassischen Avantgardisten, der unter Einsatz seines Namens die Verantwortung in einer globalen Welt in Frage stellte und seitdem massiv Selbstaufklärung betreibt. Auch wenn es viele nicht hören oder glauben wollen, nun wissen es alle: Der US-Präsident definiert täglich neu, was Wahrheit und was Lüge ist, die Medien nennt er „Fake News“, die Journalisten „Volksfeinde“. Die Reporter im Weißen Haus sind in Aufruhr. Trump twittert unermüdlich Anschauungsunterricht über die neue digitale Welt. Der russische Präsident Wladimir Putin testet dagegen angeblich die Möglichkeiten der digitalen Wahlmanipulation im Ausland, während der türkische Staatspräsident auf dem angestrebten Weg zur Alleinherrschaft das semiologische Abenteuer von Bedeutung und Pragmatik der Sprache in Stellung bringt: Recep Tayyip Erdogan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich „Nazi-Methoden“ vorgeworfen. In einer vom Fernsehen übertragenen Rede in Istanbul sagte Erdogan am 19. März 2017: „Merkel, nun benutzt du Nazi-Methoden“. Diese Äußerung könnte beispielsweise bei denjenigen Arabern, die Juden zu hassen vorgeben, völlig anders interpretiert werden als von denjenigen Politikern und Staatsbürgern, die den Holocaust zu Recht mit einem verachtungswürdigen Kapitel der deutschen Geschichte verbinden, welches sich niemals wiederholen darf und nicht relativiert werden sollte. Einer der Mitbegründer der Semiologie, Charles S. Peirce, wies schon vor mehr als einhundert Jahren darauf hin, dass Begriffe nicht fixiert sind, sondern sich im Verlaufe von Erfahrungen verändern können, wenn man neue praktische Wirkungen entdeckt. Peirce verdeutlichte auch, dass Bedeutungen jeweils vom sozialen Kontext abhängen und nicht auf einem Wahrheitskriterium, sondern auf Überzeugungen beruhen.

Roland Schappert