vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 111

Portraits

Bethan Huws | Alexandra Bircken | Julian Öffler | Annette Kelm | Katja Aufleger

Interview

Christina Végh

Page

Arne Schmitt

Edition

Arne Schmitt

Portrait

Textauszug

Bethan Huws
Die walisische Künstlerin Bethan Huws setzt sich seit den späten 1990er Jahren intensiv mit dem Werk und Denken Marcel Duchamps auseinander. Sie tut dieses weder als (akademische) Kunsthistorikerin noch als (»kopierende«) Appropriationskünstlerin der Marke Sherry Levine, indem sie, wie derzeit viele Neo-KonzeptkünstlerInnen, ihn als bloße Inspirationsquelle nutzt. Vielmehr ist die in Berlin und Paris lebende Künstlerin an einem produktiven Verstehen, an einem intertextuellen Dialog sowie an einem Weiter- und Querdenken von Marcel Duchamps bahnbrechender, der Konzeptkunst die Wege bereitender Ästhetik interessiert. Dessen so intellektuelle wie sinnliche Kunst ereignet sich bekanntlich in seinen sprachlichen Notaten ebenso wie in seinen Werken, insbesondere in den berühmt-berüchtigten Readymades, und seinem legendären, laut Joseph Beuys allerdings »überschätzten« Schweigen. Und nicht zuletzt auch in seinem erstklassigen Schachspiel.

Selbstverständlich tritt Huws auch in einen künstlerischen Dialog ein mit dem vielleicht bekanntesten Readymade Duchamps, dem »Porte-bouteilles« 1914, dem Flaschentrockner. Als erleuchtet erscheint ein solcher Flaschentrockner in ihrer Skulptur »Tour«, 2007, ist er doch aus hell leuchtendem Neonglas gebaut. Dank dieses Materials spielt »Tour« selbstverständlich so beiläufig wie konkret auf eine andere Arbeit Duchamps an, nämlich auf dessen vielleicht wichtigste: »Das große Glas«, 1914 - 1923. Weitere Assoziationen und Wortspiele sind möglich: »Tour« bedeutet im Englischen eben auch »Besichtigung« - genau dieses ist den legendären Readymades in den letzten Jahrzehnten überaus oft passiert - und im Französischen steht »Tour« u. a. für Turm – und erinnert die Beleuchtung hier nicht an die nächtliche Beleuchtung des Tour Eiffel, des Eiffelturms in Paris, der Hauptstadt von Duchamps Geburtsland Frankreich?! Eine weitere Assoziation tut sich auf, wenn man Huws Installation »Forest«, 2008 – 2009, bedenkt: 87 Flaschentrockner aus Metall und einem aus Neon waren da zu einem »Wald« zusammengestellt. Der beleuchtete Baum lässt sich so zudem als illuminierter Weihnachtsbaum lesen. Ernsthafter dann aber der Verweis hin zu dem Foto »Saint Sebastien«, 1942, auf dem Duchamp vor einem Baum steht, an dessen Äste zum Teil Flaschen aufgesteckt sind. Gerade wenn nur ein »Flaschentrocknerbaum« im Kunstraum zu sehen ist, stellt sich der Gedanke an dieses Foto ein, ein Gedanke, der endgültig eine weitere Verbindung ins Spiel bringt, nämlich die von Natur und Kunst.

Von 2007 bis 2014 arbeitete Huws an ihren »Research Notes«, einem Konvolut aus 623 Seiten, in dem die Künstlerin eine
Recherche unternimmt, die es ihr möglich machen soll »mit den Augen Duchamps zu sehen« (Huws). Auf Seite 45 findet man eine Kopie des besagten »Saint Sebastien-Fotos«. Im Rahmen ihrer Untersuchung des Phänomens »Readymade Flaschentrockner« konfrontiert sie dieses mit einem französischen Textfragment zu »SÉBASTIEN«, mehrsprachigen Wortspielen zu dem Begriff »Porte« (deutsch = Tür, Pforte), der ja im französischen Wort für Flaschentrockner steckt, stellt eine Beziehung her zwischen dem Trocknen der Flaschen und dem Schachspielen, zieht Duchamps Arbeit »tu m’«, 1918, zum interpretierenden Vergleich heran – kurz und gut: sie spannt ein so dichtes wie weites Netz an Bezügen, das in seiner assoziativen und sprachkritischen Struktur, das Denken Duchampsgleichsam zu reenacten versucht, dabei aber immer wieder auch die eigene Geschichte ihrer Duchamp-Exegese einbringt. So schreibt dann auch Hans Rudolf Reust über diese Notate treffend: Huws »Haltung und die Form eines immensen Kompendiums von Notaten lehnt sich an Duchamps Praxis in den Notizen zum ‚Großen Glas‘ oder zu ‚Etant Donnés‘ an, um sich auch wesentlich davon zu unterscheiden«. 2014 erschien »Research Notes« in Köln als Buch, im selben Jahr wurden diese Forschungsnotizen teilweise im Kunstmuseum Bern ausgestellt.

Raimar Stange