vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 111

Portraits

Bethan Huws | Alexandra Bircken | Julian Öffler | Annette Kelm | Katja Aufleger

Interview

Christina Végh

Page

Arne Schmitt

Edition

Arne Schmitt

Portrait

New Model Army 1–5, 2016, Courtesy BQ, Berlin and Herald St, London, Foto: Achim Kukulies

Textauszug

Alexandra Bircken
Bircken benutzt beides, das klassische Formenrepertoire ebenso wie die Symbolgeschichte mit größter Selbstverständlichkeit. Alles, was da ist, bekommt in dieser durch einen programmatischen Eklektizismus gekennzeichneten Kunstpraxis seinen Platz zugeordnet. Und dieses Ordnen und Kombinieren der unterschiedlichsten, natürlichen oder künstlichen Materialien, handwerklich, fast ohne Hilfsmittel gefertigten oder hochtechnisierten Produkte beherrscht Alexandra Bircken auf wirklich unnachahmliche Weise. Ihr von der Subkultur der 1980er Jahre geprägter Blick scheint gegenüber einer vorgegebenen hierarchischen Deutungshoheit immun und holt aus den einfachsten Dingen eine wundersame Schönheit und einen Zauber zutage, wo man es niemals erwartet hätte. Zu ihren Objects trouvés gehören vom Kunstkontext weit entfernte Gebrauchsgegenstände wie jene Moosbank oder ein Skateboard, ein einzelner Ski, Holzstöcke und in jüngerer Zeit Motorräder. Es handelt sich um vertraute Versatzstücke, die in surrealer Tradition in neue Beziehungen gestellt werden. Dabei ist eine Bearbeitung der einzelnen Dinge meist gar nicht nötig – die Transformation gelingt allein durch die Kombinatorik.

In jüngerer Zeit hat sich das Thema Haut auf die Materialien Nylon, Leder und Latex übertragen. Die Ambivalenz zwischen martialisch-maschinenhaft und menschlich-verletzlich unterstreichen die fünf Schaufensterpuppen der »New Model Army 1 – 5« (2016) durch die Kombination von hautfarbenen Nylons mit Lederimplantaten, die wie künstliche Körperteile wirken. Die transparenten und hauchdünnen Nylons imitieren in Farbe, Dehnbarkeit und seidiger Haptik so weit wie möglich die menschliche Haut, während es sich bei Leder tatsächlich um Haut handelt, nämlich die gegerbte Haut eines Tieres, mit dem wir unsere eigene Haut zu schützen versuchen. Eine fast mythische Verbindung von Haut und Leder entdeckt Bircken in den Schutzanzügen für Motorradfahrer (»Timo«, 2017). Als Fetische gehandelte Ledermonturen von verunfallten Motorradfahrern setzt sie wirkungsvoll in Szene, ohne sie besonders zu verändern. In die wie Tierhäute aufgespannten Lederkombis haben sich die Körperform des Fahrers, seine Fahrposition und seine Unfälle bereits so unauslöschlich eingeschrieben, dass sie sich fast in etwas Menschliches verwandelt haben.

Die Energien des Raumes werden wie die anderer Werke zur gegenseitigen Potenzierung genutzt. Alles verbindet sich mit allem, die Hochkultur mit der Subkultur, die Kultur mit Natur, Wissenschaft mit Magie, sinnliches und intelligibles Denken. So wird ein Motorrad zum Dreh- und Angelpunkt der 2006 von Richard Wright mit einem Punkteraster ausgemalten Apsis (»Janus«, 2016) und eine Textarbeit von Lawrence Weiner mit dem nüchternen Wortlaut »Down a hatch / Eine Hecke entlang, Up a Tree / Einen Baum hinauf, Around a town / Um eine Stadt herum« aus dem Jahr 1973 entwickelt eine ganze neue erzählerische Konnotation in der Gegenüberstellung mit der Arbeit »Püppi auf Abwegen« von 2009.

Sabine Elsa Müller