Artist Ausgabe Nr. 121

Portraits

Banu Cennetoglu | Fabian Treiber | Paul Czerlitzki | Kaari Upson

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Barbara Probst

Edition

Fabian Treiber

Portrait

Still aus »Split Eye«, 2012-2107, Video, Ton, 33:44 Min., Installationsansicht Kunstverein Hannover, Courtesy die Künstlerin, Massimo De Carlo und Sprüth Magers

Textauszug

Kaari Upson
In ihrem Werk betreibt Kaari Upson die Kunst der Selbsterforschung. Dabei frönt sie nicht narzisstischer Selbstbespiegelung, sondern die Introspektion der Künstlerin vollzieht sich in kathartischer Absicht. Im Idealfall bannt sie in diesem Prozess nicht nur eigene Dämonen, sondern auch die des Betrachters. Um sich selbst und anderen auf die Spur zu kommen, arbeitet sie in ganz unterschiedlichen künstlerischen Medien: Zeichnungen, Skulpturen, Installationen und Filmen. Das kann man jetzt in einer sehenswerten Ausstellung im Kunstverein Hannover nachvollziehen, die grosso modo Werke Upsons aus den letzten zehn Jahren versammelt.

Wie sehr die Selbsterforschung der Künstlerin sie nicht nur in die Abgründe der eigenen Seele führt, sondern auch hin zu frühkindlichen Traumatisierungen, Verletzungen und Abhängigkeiten ganz allgemein, machen ihre »Mental Maps« sichtbar. Großformatige Grafitzeichnungen, die jede ihrer Ausstellungen begleiten und in denen Wörter und Sätze neben gegenständlichen Motiven und Bildern eine wichtige Rolle spielen. Sie sind kein Tagebuch. Sie zeichnen nicht konkret auf, was die Künstlerin erlebt und erlitten hat, sondern eher, was sie denkt und fühlt. Man darf als Betrachter ihrer Werke nicht den Fehler machen, in Biografismus zu verfallen. Upson ist als reale Person nicht notwendig Subjekt ihrer Werke ebenso wenig wie der Erzähler in der Literatur der Autor ist. Schaut man auf das Vokabular der Zeichnungen, so begegnen einem immer wieder Begriffe aus der Psychoanalyse und ihren verschiedenen Denkschulen von Sigmund Freud über Carl-Gustav Jung bis hin zu Jacques Lacan. Aber das heißt nicht, dass sie als Spur notwendig in das Seelenleben der Künstlerin führen. Wenn in der Zeichnung zur Ausstellung in Hannover, in Versalien geschrieben, beispielsweise IT auftaucht als Hinweis auf das ES in der berühmten, von Freud installierten Begriffstrias von Es, Ich und Über-Ich, geht es hier vielmehr um eine Kartografie der menschlichen Psyche im allgemeinen Sinne. Ebenso, wenn wir dort Eternal Return lesen oder Transitional Object, Automutilation, Loneliness, Self Love, Delayed Satisfaction, Self Repair und Trashole. Letzteres ein Kunstwort, das Trash und Hole verknüpft, je nach Perspektive. Ein bunter Strauß an Begriffen, in dem sich Diagnosen und Therapien mischen. Sie greifen weit über die Befindlichkeit der Künstlerin hinaus.

Schon Upsons erstes künstlerisches Projekt kreist um Rollenbilder, in denen sie als Protagonistin stark anwesend ist, aber die Hauptfigur ist ein anderer.

Nicht von ungefähr! Denn den schillernden Nachbarn Larry hat sie in ihrem Projekt zum Bewunderer von Hugh Hefner gemacht, dem legendären »Playboy«-Herausgeber und Erfinder der attraktiven Häschen als willfährige Gespielinnen des Mannes. Ihm eifert Larry in seinem Lebensstil nach. Hefner soll in seinem schlossartigen Anwesen eine Höhle in Form einer Lagune gehabt haben, wo angeblich die großartigsten Sexorgien stattfanden. In einer ähnlichen Umgebung agiert nun Upson in ihrem Film als ein Bunny, das sich indes selbstbestimmter, dominanter und »mannhafter« kaum denken lässt. Sie liegt in einer engen, gebärmutterhaften Höhle, nackt mit prothetisch grotesk vergrößerten Brüsten und Vagina, die den Blick des Betrachters auf die primären Geschlechtsmerkmale als Zonen sexuellen Begehrens fokussieren. In ihren Armen eine ihr ähnliche, ebenso große und nackte Puppe, deren Identität schwankend ist. Mal wird sie von Upson als Larry adressiert, dann wieder wirkt sie wie ein ängstlicher, schwacher und hilfloser Zwilling der Künstlerin. In einem langen Monolog wird sie von Kaari Upson beschimpft und beschwichtigt, niedergemacht und wieder aufgerichtet. Der Film präsentiert das perfekte Spiegelbild einer Szene, in der man mit sich selbst streitet und an sich kein gutes Haar lässt, nur um sich am Ende an eben diesem Haar wieder aus dem Sumpf der Selbstvorwürfe zurück ins Leben zu kämpfen.

Split Eye« (2012-2017) ist ein Video, das die Künstlerin über fünf Jahre entwickelt hat und das für ihre Kunst aussagekräftiger nicht sein könnte. Es ist ein Manifest! Über eine halbe Stunde sehen wir in wechselnden Szenen ein Auge, das durchgeschnitten erscheint. Aber nicht wie in dem berühmten Film von Luis Buñuel, »Ein andalusischer Hund« (1929), in dem ein Mann einer vor ihm sitzenden Frau mit einem Rasiermesser waagerecht durch das Auge schneidet. Ein visueller Schock und eine Montage, bei der das Messer in Wahrheit das Auge einer Kuh durchschnitt. Bei Upson wird das Auge in der Vertikalen halbiert, was eine Spiegelung möglich macht. Der Unterschied zwischen den Augenteilungen könnte größer nicht sein. Die Buñuel-Szene verkündet den surrealistischen Glauben, dass die Wahrheit der Kunst nicht in dem liegt, was wir mit wachen, sondern mit geschlossenen Augen wahrnehmen in Traum, Fantasie und Geist. Daher gilt es das Retinale, wie von Marcel Duchamp empfohlen, zu überwinden. Dem würde auch Kaari Upson nicht widersprechen. Trotzdem ist ihr gespiegeltes, verdoppeltes und gespaltenes Auge anders zu lesen. Es wird nicht symbolisch vernichtet wie bei Buñuel, sondern agiert als Metonymie. Als »Split Eye« verweist es auf seinen Träger als »Split Personality«. Auf jemanden, der die Welt und sich vielfach fragmentiert und gebrochen wahrnimmt. So, wie sie auch in dem facettierten Kronleuchter aufscheint, der verkehrt herum in dem Haus hängt, dessen Fenster als Screens für das gespaltene Auge dienen. Alles weist, um es mit Sigmund Freud zu sagen, auf einen Menschen hin, der nicht mehr »Herr im eigenen Haus« ist.

Dieser und der Film »Pepsi Chair« (2016) sind Teil einer groß angelegten Recherche Upsons über das Leben ihrer Mutter. Sie ist neben der »Larry«-Story das zweite große Narrativ der Ausstellung. Upsons Mutter, die früher in Hannover lebte, 1965 in die USA auswanderte und dort heiratete, hat auf Bitten der Künstlerin ihr Leben und das ihrer Eltern im Deutschland der Vor- und Nachkriegszeit mit all seinen Entbehrungen und Regulierungen aufgeschrieben. In dem Film schlüpft Upson in die Rolle ihrer Mutter und bleibt zugleich bei sich selbst. Wir sehen sie, einmal mehr in Jeans und Karoshirt, in einem Großhandel auf einem Thron von Pepsi-Kartons sitzen, was auf die Vorliebe ihrer Mutter für dieses Getränk hinweist, das diese bei ihrer Ankunft in den USA entdeckte und noch heute jeden Tag mit großem Wohlbehagen konsumiert. Die Kamera beobachtet Kaari Upson, die sich kaum von der Stelle rührt, etwa eine halbe Stunde lang aus fester Position. Die Einstellungen wechseln vielleicht drei, vier Mal, bleiben aber immer auf die Künstlerin gerichtet. Die Wirkung der Bilder ist zwiespältig. Denkt man an ihre Mutter, wirkt Upson auf ihrem Thron wie eine Königin des Konsums, vor allem, wenn sie die Namen aller möglichen Waren und deren Preise flüstert. Viel stärker noch aber wirkt sie wie ein allein gelassenes Kind, um das man sich viel zu wenig kümmert und das abzuholen, man im Einkaufstrubel einfach vergessen hat.

Michael Stoeber