Artist Ausgabe Nr. 115

Portraits

Nicole Wermers | Peter Friedl | Claudia Piepenbrock | Guerrilla Girls | Christian Falsnaes

Page

Martin Vosswinkel

Polemik

Hajo Schiff

Portrait

Icon, 2018, Performance, Fotografie, Video, Besucher und Werkkopien von Lucio Fontana, Yves Klein, Imi Knoebel, Bruce Nauman, Blinky Palermo, Reiner Ruthenbeck, Franz Erhard Walther, Performance, Kunstmuseen Krefeld / Kaiser Wilhelm Museum, 2018, © Christian Falsnaes, Foto: Volker Döhne

Textauszug

Christian Falsnaes
Der dänische Künstler Christian Falsnaes hat in den letzten Jahren unterschiedlichste Ansätze von Performances entwickelt, die alle auf unmittelbarer Interaktion mit dem Publikum basieren. Ob gewollt oder nicht, die Besucher werden zu Teilnehmern und Ko-Autoren seiner Kunst. »Ohne Dich gibt es kein Werk«, das klingt zunächst wie ein Slogan, doch Falsnaes meint es ernst. Mit einem Geschick dafür, Gruppendynamiken für sich - und nicht gegen sich - arbeiten zu lassen, gehört er mittlerweile zu den internationalen Performance-Favoriten. Dabei erscheinen die Mittel, die er dafür aufwendet, bisweilen banal: Die Besucher, egal ob aus Bielefeld, Wien, Berlin, New York oder Stockholm dürfen Figuren performen, tanzen, schreien, lachen, mitlaufen, Wände besprayen und anschließend zersägen. Im Spannungsfeld von Kreation und Destruktion erscheint diese Mitmach-Kunst bisweilen wie eine eigene Persiflage partizipatorischer, gar pädagogischer Teilhabe, die seit Jahrzehnten in der Kunst praktiziert wird. Doch kippen die Situationen, wenn er am Ende die Teilnehmer weihevoll vor ihrem Werk knien lässt (»Front«, 2014, Bielefelder Kunstverein). Was passiert hier wirklich, wenn Falsnaes den menschlichen sozialen, kollektiven Körper als künstlerisches Material erprobt?

Im Krefelder Kunstmuseum findet aktuell unter dem Titel »Force« eine umfangreiche Einzelausstellung des Künstlers statt, die über die Arbeit der letzten zehn Jahre Revue passieren lässt und deutlich macht, wie stark Falsnaes die eigenen Handlungsmodelle seiner Arbeit in diesen selbst immer wieder hinterfragt und weiterentwickelt. Statt klassische ästhetische Begrifflichkeiten wie Raum, Material, Dauer oder Zeit, die im Performance-Kontext gemeinhin fallen, schlägt er Begriffe wie Macht, Energie, Gewalt und Zwang zur Verhandlung vor. Für Falsnaes stellt der institutionelle Ausstellungsraum dabei die Basis für seine Interaktionen dar. Nur im Kunstkontext regiere eine analytische Distanz, die deutlich machen kann, wie hierarchische Machtverhältnisse und Ritualisierungen strukturiert sind: das gilt ebenso für den Kunstbetrieb wie in der Performancekunst. Das wurde bislang eher verschwiegen. Gerade die (naive) Vorstellung, dass partizipatorische und soziale Projekte demokratischer wären und Hierarchien gar niederreißen würden, bringt Falsnaes zur Diskussion. Zugleich stellt er den autoritären Vergemeinschaftungen, die er anfacht, Möglichkeiten individueller Ausbrüche entgegen; zumindest im Finetuning.

Im Ausstellungsbetrieb wird die Autorität des Künstlers zunächst per se akzeptiert. Im ‘echten’ Leben sieht das ganz anders aus, denn hier ist der Künstler entweder ein Idiot, Spinner oder ein verhängnisvoller Disziplinator, der schnell an der Grenze des Machtmissbrauchs agiert, wie seine zweiteilige Videoinstallation »Influence« (2012/2018) zeigt. Während Falnaes auf einer Eröffnung als »Einpeitscher« vom Publikum nach Aufforderung euphorisch bejubelt wird, macht auf einem Volksfest keiner mit. Der Künstler nervt nur und wird förmlich von der Situation im Bierzelt verschluckt.

Eine Übertragung seiner Arbeiten aus dem institutionellen Schutzraum in den öffentlichen Raum eignet sich daher kaum; wie er selber deutlich macht. Falsnaes sucht nicht die unmittelbaren Reibungspunkte, die in der Konfrontation mit Kunst außerhalb ihrer Systeme entstehen, oder die aus dem ästhetischen Handeln ein politisches Handeln einfordern. Wohl aber fordert sein Werk eine Haltung und Stellungnahme ein; eine Betrachterposition, die auch ein körperliches Handeln einschließt. Falsnaes bleibt dabei der Regisseur, der die Skripte schreibt und die Stücke zur Aufführung bringt, Improvisationen eingeschlossen, Scheitern eher gering; Performance als autonomes Kunstwerk?

Drei Kernthemen behandelt die Ausstellung. Zunächst den Versuch, das Publikum mit der Kunst wortwörtlich in Berührung zu bringen, da dieses oft so indifferent an ihr vorbeizieht und nicht mehr spürt, was diese überhaupt mit ihm zu tun haben soll. Zum anderen das Verhältnis von Performance und medialer Aufmerksamkeit, auch hinsichtlich ihrer Präsenz auf dem Kunstmarkt, und zuletzt vor allem das Verhältnis von Performance und Kamera. So muss man, um überhaupt in die Ausstellung zu gelangen, erst einmal ein penetrantes Kamera-Team überwinden, das den Besucher mit grellem Licht empfängt und ihn auffordert, minimalistische oder abstruse körperliche Aktionen vor der Kamera zu vollführen (»Feed«, 2017). Anders als in bisherigen Arbeiten werden die Bilder allerdings hier nicht aufgezeichnet, sondern live auf einem großformatigen Bildschirm übertragen; eine neue Variante der Closed-Circuit-Videoinstallation. Dabei steht der Aufwand der Bilderzeugung in keiner ästhetischen Relation zum Ergebnis; eine bewusste Konfrontation, die sich auf das gesamte mediale Alltagsleben übertragen lässt.

Sabine Maria Schmidt