Artist Ausgabe Nr. 115

Portraits

Nicole Wermers | Peter Friedl | Claudia Piepenbrock | Guerrilla Girls | Christian Falsnaes

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Martin Vosswinkel

Polemik

Hajo Schiff

Portrait

Ausstellungsansicht Kunstverein Hannover: »Blaues Zeitembargo«, Im Akzent, 2017, Rundkörper (8-teilig), je 530 x 30 x 30 cm, Papier, Blech. Bänke (3-teilig), je 65 x 50 x150 cm, Stahl, Schaumstoff. Bodenskulptur, 5 x 460 x 270 cm, Stoff, Schaumstoff, Cyanotypie. Abdunklung, 1350 x 320 cm, Folie, (Preis des Kunstvereins, Atelierstipendium Villa Minimo), Foto: Raimund Zakowski

Textauszug

Claudia Piepenbrock
Claudia Piepenbrock arbeitet mit Worten. Wie hier in ihrer »Sprachskulptur /1«. Sie arbeitet mit Räumen und mit plastischen Körpern in vorzugsweise Durchgangs- und Übergangssituationen. Sie agiert mit deren Relation zueinander und ihrem Verhältnis zum Betrachter. »Masse. Erscheinung. Verwertung. Form. Formlosigkeit. Wirkend, wirklos.« Das sind Wörter, die sie handhabt wie plastisches Material. Die Künstlerin legt Wert auf die Sprache, vor allem auf die Begrifflichkeit, die sich auf ihre Arbeit bezieht. Sie inszeniert ihre Räume und Skulpturen präzise und begleitet ihre Arbeit sprachlich mit der gleichen Sorgfalt. Sie hört aufmerksam zu, denkt zugewandt nach, formuliert mit Bedacht, stellt in Frage, stellt Formulierungen zur Disposition.

Claudia Piepenbrocks inszenatorische Arbeit ebnet eine Berührung mit einer Situation und einem Ort. Das gefällt ihr. Berührung anbahnen, das hat nichts von Vorgabe und Lenkung, da wird keine Strategie aufgefahren. Berührung vollzieht sich aus freier Intention in Richtung auf ein Objekt des interesselosen Wohlgefallens. Ihre Arbeiten zielen auf mehr als nur visuelle Zuwendung. Wollen sie körperlich rezipiert, gewissermaßen leiblich erfahren werden? Schon, aber ist nicht auch der Sehsinn körperlich und kommt es nicht darauf an, was nach der optischen Wahrnehmung geschaltet wird, die Erinnerung, die Erfahrung, der kognitive Abgleich? In einem Raum eine Vorstellung aktivieren, mit der Inszenierung einer körperlichen Erfahrung Gedanken auslösen, darauf scheinen ihre Räume in der Tat abzuzielen. Das tun sie nicht plakativ und offensiv, sondern einladend in einer Auslotung der Balance von Faktischem und Möglichem, Teilnahme und Beobachtung, Nähe und Distanz, Konzeptualität und Stofflichkeit.

In der Bremer Weserburg realisiert Claudia Piepenbrock die Arbeit »Seitengang: 2 angepasste Wände, spiegelnd und lautlos«, für die sie den Karin Hollweg Preis erhält. Aus stahlgerahmten Schaumstoffelementen bildet sie einen fünf Meter langen Gang, der gebogen in einer Raumecke ausläuft. Der Gang kann durchschritten werden. Schaumstoff ist mit unregelmäßigen Schnitten zerteilt und bildet spiegelnd, lamellenartig die Seitenwände. Die Wandelemente geben sich in ihrer Trennung zugleich als Einheit zu erkennen. Von außen evoziert die Raumarbeit in Farbe und Form einen malerisch monochromen Charakter. Der Gang dämpft Geräusche ab und beschreibt etwas, das neben dem Hauptspektakel liegt. Das Innehalten im Museum evoziert die Vorstellung von einem Nebenweg in der Alltagswirklichkeit, es eröffnet den Blick auf das Unbeachtete und noch Ungedachte. Der Spiegelcharakter der Seitenwände eröffnet auch eine philosophische Dimension: Das eine braucht das andere, das eine bestimmt sich im anderen, die Alterität grundiert die Individualität und schafft Identität. Ohne den anderen weiß ich nicht wer ich bin, ich brauche den anderen, um mich definieren zu können. Urteil und Bestimmung basieren auf dem Gegenüber, der Ur-Teilung.

Im Oberlichtsaal des Kunstvereins Hannover schafft Claudia Piepenbrock das Ensemble »Im Akzent«. Als Grundidee liegt der Arbeit die Teilung des Raums zugrunde, die Idee der Markierung eines Raums im Raum. Sie gliedert rund ein Drittel des Saals durch eine Reihung grauer säulenartiger Skulpturen ab. Die Stelen ragen bis knapp unter die sechs Meter hohe Decke und verjüngen sich faltenartig an der Spitze. Ihre lineare Reihung orientiert sich an der Oberlichtstruktur. Das durch die Stelen-Reihe bis zur Wand abgegrenzte Feld der Deckenfensterfläche wird abgedunkelt. Seiten mit einem Innen und Außen sowie ein Oben werden definiert. Wahrnehmung wird damit ausgerichtet, der markierte Raum kann betrachtet und durchschritten werden. Sitzbänke laden zum Verweilen vor der Passagensituation ein. Der Besucher ist vor und in dem Werk. Ein räumliches Gegengewicht bildet eine großformatige blau changierende Bodenarbeit, eine Cyanotypie, die je nach Blickwinkel unterschiedliche räumliche Dimensionen entfaltet.

Claudia Piepenbrocks Skulpturen erscheinen bestenfalls, so sagt sie selbst, wie etwas, das vorbeikommt, sich hinsetzt und den Raum mit seiner Präsenz füllt. Ihre Ensembles sperren sich nicht ab, stören nicht und haben dennoch ihren Eigensinn, markieren nicht nur Architektur, sondern die Eigenheiten von Räumlichkeit, werfen Lebenspotenziale auf und evozieren neue Perspektiven. Eigentlich wolle sie gar nichts Neues schaffen, sagt sie, eher Bestehendes mit einer stofflichen Verwandlung und mittels der Betrachtung selbst transformieren. Sie möchte, dass der Betrachter sich in etwas hinein begibt, das markiert aber nicht beschrieben ist. Es geht nicht um die neue Erfahrbarkeit eines Raumes, sondern um die Herstellung einer Situation, um den Aufbau einer Szenerie, eines räumlichen Zustands, der die Vorstellungskraft berührt.

Rainer Beßling