Artist Ausgabe Nr. 115

Portraits

Nicole Wermers | Peter Friedl | Claudia Piepenbrock | Guerrilla Girls | Christian Falsnaes

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Martin Vosswinkel

Polemik

Hajo Schiff

Portrait

Installationsansicht: Guerrilla Girls, History of Wealth and Power, Kestner Gesellschaft, 2018, Hannover, Foto: Raimund Zakowski

Textauszug

Guerrilla Girls
Jeder, der sich irgendwann einmal auch nur etwas näher mit den Guerrilla Girls befasst hat, ist mit Sicherheit dabei auf dieses Plakat gestoßen. In seiner genialen Verknüpfung von Bild und Text ist es vom Tag seiner Entstehung zum Symbol und Banner, auch zu einer Art Branding und Corporate Identity der New Yorker Protestiererinnen gegen alle möglichen Formen weiblicher Benachteiligung in der Gesellschaft geworden. Das Plakat, 1989 entworfen, vier Jahre nachdem sich die Guerrilla Girls zur Politgruppe zusammengefunden haben, nimmt eine Anleihe bei einem berühmten Bild des französischen Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres aus dem neunzehnten Jahrhundert. Es zeigt eine nackte Haremsdame in einem Boudoir, die der Künstler »Große Odaliske« (1814) genannt hat. Den weiblichen Körper, der hier als reizvolle Rückenansicht präsentiert wird, hat die Kritik nicht zufällig mit einer Landschaft des Leibes gleichgesetzt. Eine Landschaft, die begangen und erkundet werden will – in erster Linie natürlich vom Mann. Der Orient, dem das Motiv entstammt, ist im neunzehnten Jahrhundert in Kunst und Literatur en vogue; man denke nur an den unglaublichen Erfolg des Romans »Salambo« (1862) von Gustave Flaubert.

Eine geniale Transformation. Diese metonymische Verwandlung des Frauenbildes enthält im Kern schon alles, was es über die Guerrilla Girls zu wissen gilt. Eine Gruppe von Frauen, alle Künstlerinnen, die sich 1985 in New York zusammentun, um den männlich dominierten Kunstbetrieb aufzumischen. Um deutlich zu machen, dass sie nicht mehr gewillt sind, es hinzunehmen, dass sie als Künstlerinnen benachteiligt werden, dass man sie bei Gruppen- und Einzelausstellungen in Museen und Galerien geflissentlich übersieht, weil in den Köpfen der Verantwortlichen zu der Zeit wohl ein Gedanke herrscht, den der Maler Georg Baselitz noch im Jahre 2013 glaubt, in einem Spiegel-Gespräch öffentlich machen zu müssen: »Frauen können nicht gut malen.« Um auf diesen Missstand mit Nachdruck hinzuweisen und um deutlich zu machen, dass sie sich als entschlossene Kämpferinnen in einem Krieg verstehen, weniger gegen die Männer als gegen patriarchalische Strukturen, nennen sie sich Guerrilla Girls. »Guerrilla«, die Verkleinerungsform von »guerra« (span. für Krieg) entstand als Wort während der »illegitimen« Befreiungskriege der Spanier 1807-1814.

Auch wenn die Guerrilla Girls immer wieder den Kunstbetrieb kritisch im Auge haben, argumentieren und agitieren sie als feministisches Kampfkollektiv doch von Anfang an ebenfalls gesamtgesellschaftlich. Das macht zum Beispiel ein Plakat aus dem Jahre 1985 klar, auf dem sie ebenso schlicht wie prägnant die unterschiedliche Einkommenssituation von Männern und Frauen in den USA vor Augen führen. Es zeigt eine im Verhältnis von eins zu zwei gedrittelte Dollarnote. Der dazu gehörige Text weist darauf hin, dass die Frauen in den USA im Schnitt für dieselbe Arbeit nur zwei Drittel des Lohnes eines Mannes erhalten. Bei den Künstlerinnen ist es noch dramatischer: Da ist es sogar nur ein Drittel. Obwohl mehr als 30 Jahre alt, ist das Plakat keineswegs obsolet. In diesem Sektor besteht heute immer noch – auch bei uns in Deutschland – verschiedentlich erheblicher Nachbesserungsbedarf.

Wie es nicht anders sein kann, haben die Guerrilla Girls mit Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump viel zu tun bekommen. Sie wissen wahrscheinlich kaum noch, wo sie mit ihrer Kritik überall ansetzen sollen. Das vorläufige Ergebnis ist ein Plakat aus dem Jahr 2016, in dem sie, Entscheidungen des Präsidenten folgend, traditionelle Gedenkmonate durch neue, fiktive, aber im Geist von Trump höchst lebendige ersetzen. Also statt eines afro-amerikanischen Gedenkmonats gibt es nun einen für den Ku-Klux-Klan, statt eines für die Frau einen Gedenkmonat für abfälliges Gerede über sie (»Locker Room Talk Month«). Und so geht es weiter mit den Trump-Ausgrenzungen von Homosexuellen, Behinderten, Flüchtlingen. Das heißt, noch viel Arbeit für die Guerrilla Girls. Der schöne Untertitel ihrer Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft lautet »The art of behaving badly«. Er betont die Wichtigkeit, sich immer wieder einmal gegen den Mainstream und gesellschaftlichen Konsens zu stellen. Denn die wollen oft genug die Dinge so recht und schlecht belassen, wie sie sind. Sich im beliebten »Weiter so« und »Wie gehabt« üben. Dass die Guerrilla Girls dagegen Störfeuer auffahren, kann gar nicht hoch genug gelobt werden. Nehmen wir sie uns zum Vorbild! Üben wir uns in der Kunst des schlechten Benehmens!

Michael Stoeber