Artist Ausgabe Nr. 104

Portraits

Renzo Martens | Trevor Paglen | Achim Bitter | La Biennale die Venezia 2015 | Nan Goldin

Interview

Daniel Marzona

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Wolfgang Michael

Portrait

o.T., 2014, Installation, Kabinett für aktuelle Kunst Bremerhaven, 2014/ 2015, Foto: Tobias Hübel, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Textauszug

Achim Bitter
Das Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven ist kein gewöhnlicher Ausstellungsraum. Zu ebener Erde gelegen, mit einer großen Schaufensteranlage versehen und eingereiht in eine Abfolge nahezu identischer Einheiten, welche allerdings kommerziell genutzt werden, stellt es so etwas wie einen Hybrid zwischen einem alltäglichen Geschäftsraum und einem Ausstellungsraum mit besonders niedrigschwelliger Zugänglichkeit dar. Wer in diese leicht zu übersehende Niemandsbucht in der Bremerhavener Innenstadt vorstößt, der weiß entweder genau, was er sucht oder aber er kommt als ziellos umherstreifender Flaneur vorbei. An Öffnungszeiten ist er jedenfalls nicht gebunden. Ein Betreten der Ausstellungssituation ist hier nicht unbedingt erforderlich: Der Blick durch die Scheibe kann genügen. Für Achim Bitters neue Arbeit »o.T.« (2014) jedenfalls scheint dieser, aufgrund seiner bald 50-jährigen Geschichte längst legendär gewordene Ausstellungsraum, genau der richtige Platz zu sein. Das Kabinett war im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Bühne und Austragungsort für teilweise sehr reduzierte und subtile künstlerische Interventionen.

Ziemlich suggestiv und zugleich voller wohldosiertem bildhauerischen Understatement vermittelt Bitters Bremerhavener Auftritt eine Vielzahl von Ansätzen, sich mit elementaren Fragen nach Zeit und Vergänglichkeit, Raum im Allgemeinen, spezifischem Raum (das Kabinett mit seiner Ausstellungsgeschichte) und eigener (Künstler-) Biographie auseinanderzusetzen oder besser: diese zumindest anzuschneiden.

Achim Bitter ist keiner, der seinem Publikum nach dem Motto: Schaut her, so ist es, irgendwelche vorgefertigten Lösungen oder bis ins kleinste Detail ausgefeilte skulpturale Konzepte präsentiert. Eher ist er ein Grenzgänger zwischen Kunst und Nicht-Kunst, einer, der das auf den ersten Blick banale, oft bereits von den Konsumenten aussortierte Inventar des Alltags und der Straße kurzzeitig in den Ausstellungskontext einschleust, um es anschließend wieder in die Verwertungskreisläufe der Warenwirtschaft und der Recyclingindustrie zurückzugeben. So ließe sich zumindest seine bisherige langjährige Ausstellungspraxis beschreiben. Achim Bitter, der 1960 im niedersächsischen Twistringen geboren wurde und nach seinem Studium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg nach Bremen gezogen ist, präsentiert mit seinen in letzter Zeit entstandenen Arbeiten, wie jetzt in Bremerhaven, aber neuerdings auch skulpturale Ensembles, die anschließend keineswegs auseinandergerissen werden, sondern eindeutig Werkcharakter im Sinne einer Unauflöslichkeit der einzelnen Elemente entwickeln. Er löst sich damit von seiner bisherigen künstlerischen Strategie, die auf nahezu radikaler Zeithaftigkeit und Austauschbarkeit der verwendeten Materialien basierte. Damit überrascht er diejenigen, die sein Werk schon längere Zeit verfolgen.

In Zeiten der Post-Internet-Art, deren skulpturale Hervorbringungen allzu häufig auf im Weltraum erprobten High-Tech-Werkstoffen oder beliebig oft reproduzierbaren, mit dem Laser zusammengeschmolzenen Kunstharzen und Polymeren aus dem 3D-Drucker basieren, behauptet Achim Bitter ein unverwechselbares bildhauerisches Konzept, das den im urbanen Alltag gefundenen oder entdeckten Gegenstand mit all seinen Gebrauchsspuren und Einschreibungen in den Fokus der Betrachtung stellt und ihn in Kombination mit anderen Objekten zu neuen, dem Prinzip nach offenen Bedeutungszusammenhängen verdichtet.

Nicole Büsing / Heiko Klaas