vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 92

Portraits

Pawel Althamer | Andrea Winkler | Andreas Karl Schulze | Georg Winter | Bettina Pousttchi

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Kinki Texas

Portrait

Installationsansicht »Patricia«, Gerhardsen Gerner, Berlin, 2011, Ohne Titel, 2011, Ink Jet Prints, Styropor, Bauschaum, Spionfolie, 98 x 140 x 100 cm; Ohne Titel, 2011, Ink Jet Prints, Styropor, Bauschaum, Spionfolie, 120 x 140 x 100 cm; Ohne Titel, 2011, Acryllack, Maße variabel; Ohne Titel, 2011, Kette, Pfeiler, Karabiner, Maße variabel, @ Andrea Winkler, Courtesy of Andrea Winkler | Gerhardsen Gerner, Berlin/Oslo

Textauszug

Andrea Winkler
Manchmal erzielen sparsam, pointiert und fein dosiert gesetzte Gesten eine weitaus größere Wirkung als bombastische Gebärden. Die mitunter sehr diskret daherkommenden Arbeiten der 1975 in Zürich geborenen, heute in Berlin und Hamburg lebenden Künstlerin Andrea Winkler bewegen sich zwischen den Polen Installation, Intervention, Skulptur und Objet trouvé. Andrea Winkler arbeitet im und mit dem Raum. Sie geht von vorgefundenen Raumsituationen aus, auf die sie mit subtil gesetzten Markierungen, Objekten und Eingriffen reagiert. Dabei benutzt sie häufig wiederkehrende Elemente, die sie im Raum fast wie eine Collage zusammenfügt: mit Fotografien und Farbverläufen beklebte Podeste, die dem Raum eine zirkusartige, fast bühnenhafte Wirkung geben, daneben handelsübliche Absperrsäulen, wie man sie in Hotels, Banken, Restaurants und Musikclubs findet. Ferner daran befestigte Ketten anstelle der meist üblichen roten Kordeln, vorzugsweise in Gold-Optik, die sie mit sorgsam ausgewählten Schlüsselringen in verschiedenen Höhen an der Wand befestigt, und schließlich feine mit Sprühfarbe ausgeführte Wandmalereien. Diese mit scheinbarer Beiläufigkeit aufgesprühten Markierungen bringt Andrea Winkler in verschiedenen Farben meist sehr sparsam auf Wände, Decken und Böden auf und unterstreicht so den Anklang einer Zeichnung im Raum. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch Leerstellen, die von zuvor aufgeklebten und dann wieder entfernten Tapes herrühren und so auf ein durchaus planerisches Vorgehen schließen lassen. »Ich sehe die Dinge, mit denen ich arbeite, als Versatzstücke, die ich in neue Konstellationen überführe«, sagt Andrea Winkler.

Andrea Winkler begreift ihre im Ausstellungsraum platzierten Objekte und aufgesprühten Markierungen als »Wahrnehmungskatalysatoren für den Raum.« Durch spezifische Setzungen in vorgefundenen, häufig mit architektonischen Elementen wie Säulen, Treppen, Kassettendecken oder Stellwänden besetzten Räumen erzeugt sie eine bestimmte choreographische Dramaturgie. Sie lenkt nicht nur den Blick des Betrachters, der verschiedene Perspektiven einnimmt, wenn er sich im Raum bewegt. Sie dirigiert auch seine Bewegungen, indem sie bestimmte Bereiche absperrt und seinen Weg durch den Ausstellungsraum mit sanftem Druck determiniert, indem sie bestimmte Laufrichtungen vorgibt. Der Blick des Betrachters wird beispielsweise unmittelbar an Ketten entlang in die Höhe gelenkt, die an bestimmten mit Sprühfarbe markierten Punkten mit dicken Haken an der Wand befestigt sind. Andrea Winkler schafft gerade durch das Anbringen von Ketten, die an Schmuckstücke, aber auch an autoritär gesetzte Absperrungen erinnern, und das Aufstellen von Pfosten irritierende Quasi-Verbotszonen oder Zonen der Ausgrenzung. So baut sie eine Spannung im Raum auf, die an politische, ökonomische oder psychologische Ausgrenzungsmechanismen denken lässt. Gleichzeitig spielt Andrea Winkler mit der Ambiguität von Schein und Sein, indem sie Billiges und Wertiges, Originale und Fakes taktisch gegeneinander in Stellung bringt.

Nicole Büsing / Heiko Klaas