Artist Ausgabe Nr. 85

Portraits

Almut Linde | Stephan Baumkötter | Preechaya Siripanich | Poul Gernes | Peter Böhnisch

Page

Beate Gütschow

Künstlerbeilage

Susanne Hanus

Portrait

Installation view Poul Gernes retrospective at Deichtorhallen Hamburg. Backround: Poul Gernes: Untitled, 1965- 1966, 182 cm x 122 cm, Untitled (ship), 1967, © Foto: Fred Dott, Courtesy Deichtorhallen Hamburg

Textauszug

Poul Gernes
Die Politisierung seines künstlerischen Selbstverständnisses führt dazu, dass Poul Gernes sich in jenen Jahren entschließt, keine Werke mehr für den Kunstmarkt zu produzieren und nur noch ortspezifische Werke auszuführen. Diese späte Schaffensphase setzt 1968 ein, als er eine monumentale Aufgabe übernimmt. Er willigt ein, die Be- und Ausmalung des neuen, 25-stöckigen Hospitals in Herlev vor den Toren von Kopenhagen durchzuführen. Zwischen 1968 und 1976 beansprucht dieser Auftrag den größten Teil seiner Zeit. Dem Projekt folgt eine Vielzahl anderer. Sie alle dokumentiert zusammen mit den übrigen künstlerischen Aktivitäten von Poul Gernes eine bravourös orchestrierte Übersichtsschau in den Hamburger Deichtorhallen. Es ist die größte Ausstellung, die dem Künstler bisher ausgerichtet wurde. Zu seinen Lebzeiten wäre sie wohl kaum zustande gekommen. Auch wenn Gernes sein Land 1988 bei der Biennale in Venedig vertrat, hat er sich dem Ausstellungsbetrieb doch immer wieder verweigert, nicht nur kommerziellen Schauen in Galerien. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit der Malmö Konsthall und der Lundskonsthall entstanden und wird von einem überaus informativen, kenntnisreichen und schön gestalteten Katalog begleitet. Beide, Ausstellung und Katalog, lassen keine Werkgruppe im Leben des dänischen Malers, Bildhauers, Filmers und Performers unerwähnt. Von den altmeisterlich anmutenden Zeichnungen und Gemälden über die seriell abstrakte Malerei bis hin zu den Performances, Fotos, Filmen und zur Dokumentation der in situ Werke. Der Kurator und Intendant der Deichtorhallen, Dirk Luckow, beschreibt das Oeuvre des einflussreichen Künstlers als „ausgelassen, anarchisch, ausschweifend, fröhlich, folkloristisch, funky und psychedelisch.“ Das war es zweifellos. Aber vor allem war es nicht nur poetisch, sondern auch politisch. Poul Gernes fängt in den für seine Bedeutung als Künstler entscheidenden sechziger Jahren an zu praktizieren, womit er bis zu seinem Lebensende nicht aufhören wird und was Jean Luc Godards berühmtem Credo entspricht: »Es geht nicht darum, politische Filme zu machen, sondern Film politisch zu machen!« Auch Gernes macht keine politische Kunst, sondern seine Kunst politisch. Ebenso diskret und lässig wie ehrlich und nachdrücklich. Indes nie eifernd, plakativ oder propagandistisch. Und in dieser Haltung eignet er sich ganz offensichtlich wie wenige Künstler seiner Generation zum role model für die Nachgeborenen.

Michael Stoeber