Artist Ausgabe Nr. 77

Portraits

Andrea Pichl | Joseph Marioni | Till Krause | Sofia Hultén | Nedko Solakov | Tobias Rehberger

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Herwig Gillerke

Künstlerbeilage

Thomas Behling

Edition

Astrid Nippoldt

Portrait

The Yellow Blob Story, 1997, Yellow paint, handwritten text on wall, from »The Absent-Minded Man« project, 1997, dimensions, variable, Edition of 5 and 2 AP, Collections of Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig / MUMOK, Vienna; Museum of Art and, Design / MARTa, Herford., Exhibition view Export-Import, Sofia City Art gallery, Sofia, 2003, Foto: Angel Tzvetanov, Courtesy of the artist. Text: I ordered this yellow blob from the exhibition assistants but later on I completely forgot the reason for this.

Textauszug

Nedko Solakov
Was macht dieses Werk zu einem künstlerischen - noch dazu zu einem, das Solakov selbst als zentral für sein artistisches Schaffen empfindet und deklariert? Inwieweit ist es viel mehr als eine nur biografische Beichte? Die Antwort lässt sich relativ rasch geben. Weil „Top Secret“ (1989/90) - so der ironische und ambivalente Titel des Werks, so ambivalent wie die ganze Arbeit, denn nie lag so offen und so detailliert erklärt vor Augen und Ohren des Betrachters, was diesem, laut Titel, gerade nicht zugänglich sein sollte - von Anfang bis Ende eine grandiose Inszenierung ist. Trotz aller treuherzigen Beteuerungen des Künstlers, trotz seines »So ist es gewesen« lässt sich ein Restzweifel am Wahrheitsgehalt des Werkes nicht ausräumen. Denn die wirklichen Akten, die das Geschehen beglaubigen könnten, sind bis heute von den bulgarischen Behörden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht worden.

So wandert das Werk vor den Augen des Betrachters hin und her von der Wirklichkeitsform zur Möglichkeitsform und wieder zurück, ohne sich endgültig festlegen zu lassen, wobei es - was viel wichtiger ist - im Kopf des Betrachters Überlegungen anstößt zur Rolle des Künstler in politisch schwierigen Zeiten, aber sehr schnell auch zu seiner eigenen. Das ist ein Aspekt, der das Werk in Dimensionen katapultiert, wo es die reine Biografie Solakovs hinter sich lässt. Es öffnet sich ein Raum, in dem der Betrachter zum Teil des Werks wird. Ganz im Sinne der Alten handelt es plötzlich von ihm, erfüllt das Postulat des tua res agitur. Die Verwerfungen des von Solakow verhandelten Falles führen zwangsläufig zu der Frage, wie sich der Betrachter selbst in ähnlicher Situation verhalten hätte, in ihr und danach.

Michael Stoeber