Artist Ausgabe Nr. 77

Portraits

Andrea Pichl | Joseph Marioni | Till Krause | Sofia Hultén | Nedko Solakov | Tobias Rehberger

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Herwig Gillerke

Künstlerbeilage

Thomas Behling

Edition

Astrid Nippoldt

Portrait

Textauszug

Sofia Hultén
Im Künstlerhaus Bremen hat Sofia Hultén in diesem Sommer eine Installation realisiert, die mit dem Thema der Zeit einen Hauptaspekt ihres Schaffens aufgreift. Einem realen Objekt, einer grünen Kommode mit erheblichen Gebrauchsspuren, wird die Bilddokumentation eines auffallend ähnlichen Schrankes in Holzsichtigkeit gegenübergestellt. Dazu zeigen jeweils zwei Videos Arbeitsvorgänge, die zu den beiden Zuständen der Kommode führen: Maßnahmen zur Rückführung des Möbelstücks in den vermeintlichen Originalzustand und solche, die es in den aufgefundenen Zustand versetzen.

Ein Ausgangspunkt für die Arbeit waren vorher-nachher-Bilder von Restaurierungsmaßnahmen, wobei Sofia Hultén stets erheblich mehr Sympathie für das Vorher empfindet. Indem sie nun der Restaurierung die Rekonstruktion folgen lässt und größte Energie und Mittel in die künstliche Erzeugung von Gebrauchspatina investiert, bringt sie gewöhnliche Zeitabläufe und Entwicklungslogik ins Wanken. Auf eine Rückwärtsbewegung folgt eine Vorwärts-zurück-Bewegung, um auf einen Null-Zustand zu kommen, der einen vorläufigen Endzustand beschreibt.

Die Künstlerin hat die Aktion mehrfach wiederholt, dabei die größtmögliche Annäherung an den Zielzustand versucht und das Objekt dabei in einen zunehmend zerbrechlicheren Zustand versetzt. Das Unternehmen, das einen alltäglichen Vorgang mit einer Versuchsanordnung und einem ganzen Bündel philosophischer Fragestellungen verknüpft, zeigt, dass weder eine Aktion nicht wiederholt und ein vergangener Zustand nicht wiederhergestellt werden kann. Die Identitätsbehauptung des Gegenstands vor und nach den Eingriffen ist ein Fake, schon die antiken Denker wussten, dass niemand zweimal in denselben Fluss geht.

Rainer Beßling