Artist Ausgabe Nr. 136

Portraits

Julia Scher | Michael Rakowitz | Hannah Villiger | Mona Kuhn | Claudia Wieser

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Hannah Wolf

Edition

Hannah Wolf

Portrait

paraSITE, 1997 – fortlaufend, Plastikfolie, Kunststoffrohr, Haken, Klebeband, Raum für Joe H., Battery Park City, New York, 2000, Courtesy der Künstler und Galerie Barbara
Wien, Berlin, Foto: Michael Rakowitz

Textauszug

Michael Rakowitz
»Homeless: obdachlos, heimatlos, wohnungslos«: Mit seiner ongoing-Arbeitsgruppe »paraSITE«, stellt der in den USA lebende Künstler Michael Rakowitz seit 1997 obdachlosen Menschen temporäre und mobile Architektursysteme aus Plastik zur Verfügung. Diese zeltartigen und aufblasbaren Behausungen lassen sich in nur wenigen Minuten aufbauen und bieten dann seinen Bewohnern zuverlässig Schutz vor Regen, Schnee und Kälte. Letzteres vor allem deswegen, weil diese »paraSITES« an Abluftöffnungen von Heizungsund Klima-Anlagen größerer Gebäude »parasitär« angedockt werden, damit diese minimalistischen Unterkünfte so von dieser Abwärme, die quasi recycelt wird, beheizt werden können - selbstverständlich ohne dass irgendwelche Kosten für die Obdachlosen anfallen.

Schon diese frühe Arbeitsgruppe von Michael Rakowitz formuliert sich mit ihrer künstlerischen CARE-Arbeit in dem überaus prekären »Bermudadreieck« von Heimatlosigkeit, Verlust und vagabundierendem Umherziehen. Eben diese unheilvolle Konstellation prägt bis heute die stets engagierte Ästhetik des irakisch-jüdischen Künstlers.

Also betreibt Michael Rakowitz seit 2003 sein Projekt »Enemy Kitchen«. Zunächst kocht er gemeinsam mit seiner Mutter Gerichte aus dem Irak und bringt dabei diesen Teil der irakischen, in den USA gleichsam heimatlosen Kultur unter anderem Studenten näher. Zum einen handelt es sich hier um eine kluge Symbolpolitik, die in den USA ein anderes Bild vom vermeintlich »bösen« Irak etablieren möchte. Zum
anderen ist die »Enemy Kitchen« gleichzeitig der Relational Ästhetik (Nicolas Bourriaud) zuzuordnen, der es ja darum geht, soziale Prozesse interaktiv in Gang zu bringen. Dieses gelingt Michael Rakowitz in dem zweiten Teil des Projektes, in dem er mit einer fahrenden Küche in Chicago diese irakischen Gerichte zum Essen anbietet. Serviert wird das Essen dann gemeinsam von irakischen Flüchtlingen und von USamerikanischen Veteranen aus dem Irak-Krieg. Die Politisierung der oftmals nur hedonistisch ausgerichteten Relational Ästhetik der 1990er Jahre, Stichworte: Bar- und Techno-Kultur, gelingt so dem Künstler und seinen Mitstreitern überaus überzeugend.

2020 bot Michael Rakowitz seine Lamassu-Skulptur erstmals der renommierten Londoner Tate Modern als Gegenleistung dafür an, dass das britische Museum eine »ihrer« beiden irakischen Lamassu- Skulpturen zurück an den Irak gibt. Mit diesem engagierten Vorhaben gelingt es dem Künstler einmal mehr, Kunst und politischen Aktivismus miteinander zu verbinden. So war der Brief, mit dem er dann sein wohlkalkuliertes Angebot präzisierte, später des öfteren in Kunstausstellungen zu sehen, so zum Beispiel 2022 im Berliner Ausstellungsraum SAVVY Contemporary während des wichtigen Ausstellungsprojekts »For The Phoenix To Find Its Form In Us. Zu Restitution, Rehabilitierung & Entschädigung«.

Abschließend zu Michael Rakowitz’ Film »I’m good at love, I’m good at hate, it’s in between I freeze«, 2012/2023, der einer der Highlights des diesjährigen Berliner Gallery Weekends gewesen ist und in der Galerie Barbara Wien zu sehen war. Besagtes Problem von Heimatlosigkeit, Verlust und Umherziehen wird in diesem 32 Minuten langen Film von Michael Rakowitz in dem Versuch einer Auseinandersetzung mit Leonard Cohen verhandelt, genauer: einer Auseinandersetzung mit diesem über das »Problem Israel/Palästina«. Der irakisch-jüdische Künstler, der ein erklärter Liebhaber der Musik Leonard Cohens ist, versuchte dazu zunächst Kontakt mit dem US-amerikanisch-jüdischen Musiker aufzunehmen, um über dessen politische Haltung in diesem Kontext zu sprechen.

Raimar Stange