Artist Ausgabe Nr. 136

Portraits

Julia Scher | Michael Rakowitz | Hannah Villiger | Mona Kuhn | Claudia Wieser

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Hannah Wolf

Edition

Hannah Wolf

Portrait

Ausstellungsansicht: »Hochsicherheitsgesellschaft«, Museum Abteiberg Mönchengladbach, Foto: Sabine Maria Schmidt

Textauszug

Julia Scher
Die Idee, unseren weitgehend ausgeplünderten und überbevölkerten Planeten möglichst bald verlassen zu können, gewinnt zunehmend an Reiz. Doch wer wird zukünftig welche Planeten betreten dürfen, und wie lassen sich intergalaktische Territorialansprüche rechtfertigen? Die 1954 in Hollywood geborene Medienkünstlerin Julia Scher visioniert in ihrem jüngsten Werkzyklus einen ungewöhnlichen Exoplaneten, den sie »Planet Greyhound« nennt.

Das Hauptthema der Überwachung durch elektronische und später digitale Medien ist zentrales Thema der Künstlerin, die von 2006-2021 als Professorin für Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien in Köln gelehrt hat und nicht nur für die deutsche Medienkunst wichtige Impulse gegeben hat. Dass sie als Künstlerin zu den Pionieren dieses Themenfelds gehört, und frühe Arbeiten bereits aus den späten 1980er Jahren stammen, ist weniger bekannt. Eine retrospektiv angelegte Einzelausstellung im Museum Abteiberg Mönchengladbach arbeitet dieses nun thematisch facettenreich ab.

Um Überwachung zu verkaufen, war vor allem die Verheißung von Kontrolle und Sicherheit wichtig; ein Argument, das bis heute wirkt. Michel Foucault hatte 1975 mit seiner Schrift »Überwachen und Strafen«, ein inhärentes Gegenkonzept zu Freiheit und Demokratie offengelegt. Wim Wenders Film »Am Ende der Gewalt« von 1997 griff die Idee eines neuen Videoüberwachungssystems auf, dessen Ziel es war, Gewalttaten zu verhindern, indem man schon ihre Anbahnung beobachten konnte. Ort der Handlung: Los Angeles. Noch radikaler griff der Film »Minority Report«, der auf die gleichnamige Kurzgeschichte von Philip K. Dick zurückgeht, die religiöse Vorstellung auf, das Böse kontrollieren zu können. Hier sind es durch Medikamente hervorgerufene Visionen von sogenannten »Precogs«, die Gewalttaten und Morde vorhersehen können. Alle Systeme scheitern bekanntlich am Ende.

Heute ist das Verständnis darüber, was überhaupt Überwachung ist, kaum mehr auf einen Nenner zu bringen. Die Tatsache, ständig beobachtet und kontrolliert zu werden, scheint mittlerweile nur noch wenige zu stören. Auch obwohl längst allen bekannt ist, dass wir alle permanente Datenlieferanten sind, die die Maschinen füttern. »Dirty Data« von 1991 ist eine der frühen Computerinstallationen in der Ausstellung, die unbedingt zu den Meisterwerken der Mediengeschichte gehört. Über die Eingabe von Namen wurden in Nebenräumen Sicherheitshinweise ausgelöst. Allerdings war die Arbeit defekt beim Besuch. »Dirty Data« sind fehlerhafte Daten, falsche unbrauchbare Daten, die durch die Kanäle der IT fließen bis sie alle Speicher verstopfen. Dirty ist auch das Eindringen von Kameras bis in die tiefsten Privatsphären. Die dreiteilige Installation »Embedded« mit einem »Papa Bed«, »Mama Bed« und »Baby Bed« greift sehr eindringlich und schonungslos die auch auf kleinste gesellschaftliche Zellen ausgerichtete technologische Überwachung auf und die mit ihr verbundenen Domestikationsformen. Das Bett des Vaters ist mit US-Army-Uniformen ausgestattet, das der Mutter mit Kinderbüchern und Lederpeitsche. Für das Kind ist eine Glasplatte auf Stahlpfosten reserviert, statt eines Bettlakens findet sich ein silikonähnliches Trägermaterial.

Julia Schers Karriere und Ausstellungsbiografie zeigt, wie aktuell ihre Arbeiten weiterhin wirken. Zudem war sie auch in Online-Projekten und in aktivistischen Gruppen unterwegs. Der Begriff der »Hochsicherheitsgesellschaft « stammt – worauf Scher aufmerksam macht – von dem ebenso aus Hollywood stammenden Gary T. Marx, der damals am MIT lehrte und über eine futuristische Gesellschaft forschte, die geschützt sein wollte vor Destruktion, Gewalt oder toxischer Umweltzerstörung.

Mit der Frage, was Überwachung also heute ist und bedeutet, wird man aus der Ausstellung entlassen und am Ende auch allein gelassen. Aber vielleicht ist genau das auch gut so. Denn Warnhinweise gab es ja genug, wie man ins Visier gerät, was und wo alles aufgezeichnet wird, Fakes zu erkennen, gefälschte Übertragungen zu entlarven, wie man Menschen dazu bringt, Räume anders zu denken oder zu visionieren; Zwischenräume zu schaffen. Überwachung ist eine Weltsprache geworden, die allerdings nicht mehr nur mit wenigen Vokabeln auskommt und von immer weniger Erdbürgern verstanden wird.

Sabine Maria Schmidt