Portrait

Semiophoren, 2013, Video, HD, Ton, sw / Video, HD, audio, bw, 14:28 min, © the artist, Courtesy Galerie Thomas Rehbein, Köln

Textauszug

Paulie M´barek
Das Werk von Pauline M’barek breitet sich mit überzeugender Stringenz aus, es wird vielseitiger und gewinnt zunehmend an Tiefe. Dies ist nicht zuletzt darin begründet, dass M’barek bestimmte Themen, die sie zunächst fast intuitiv aufgreift und bearbeitet, spiralförmig auf höherem Niveau weiter verfolgt; dabei verschiebt sich der Blickpunkt, und die ursprüngliche Idee wird, immer breiter aufgestellt, allmählich Teil einer umfassenderen Problemstellung. Wissbegierde treibt sie an, Wege mit unbekanntem Ausgang zu beschreiten. Mehrfach ist dabei angesagt, einer Sache hartnäckig und geduldig übend nachzugehen. Auf der Suche nach Grundstrukturen gehen bei M’barek Forschen und Experimentieren Hand in Hand. Anregungen und Hilfestellung liefern ihr häufig Forschungsergebnisse aus Philosophie, Optik, Geologie, Ethnologie, Kunst- und Kulturgeschichte. Aby Warburgs Bildersammlung und seine assoziativen interkulturellen Analysen ermuntern sie, ständig Material zu sammeln, es durch Auslese zu präzisieren und Netzwerke zu knüpfen. Letztlich gelten sämtliche Arbeiten phänomenologischen Fragen, den Freiräumen, Grenzen und auch möglichen Manipulationen sinnlicher und kognitiver Wahrnehmung von Realitäten. M’barek setzt nicht nur auf die Fähigkeit sämtlicher Sinne, sondern nimmt bei deren Einsatz auch die verschiedensten Methoden und Mittel ins Visier.

Für M’barek stellt sich das Prinzip, für selbstverständlich gehaltene Situationen und Tatsachen zu hinterfragen und in ihr Gegenteil zu verkehren, als höchst spannender Weg der Erkenntnisfindung dar. In ihrer Einzelausstellung »Der berührte Rand« im KIT in Düsseldorf im Rahmen der Quadriennale 2014 führt diese Methode zu überraschenden Sinneserfahrungen. Die Formulierung des Titels ist feinsinnig und klug gewählt, weil beide Worte in ihrem bisherigen Werk substantielle Bedeutung haben und in dieser Schau aufs engste miteinander verknüpft sind. M’Barek widmet sich dem erfühlenden und erschaffenden Sehen und Ertasten von Erscheinungen und Dingen. Im Moment der Berührung bildet sich eine Kontaktfläche, die Sinne kreuzen sich; damit treffen verschiedene Ordnungen wie Innen- und Außenraum, Objekt und Subjekt aufeinander. Es geht darum, diesen Zwischenraum, diese ambivalente Stelle der Gleichzeitigkeit, des Aufeinandertreffens zweier Ordnungen zu untersuchen und sichtbar zu machen. »Es kann sich nur etwas berühren, was eine Grenze hat«, zitiert M’barek Aristoteles, womit bereits erklärt ist, warum sie den Rändern als sensiblen Zonen besondere Aufmerksamkeit widmet. Ein Rand markiert eine Schwelle, die Grenze, von welcher aus das Innen und Außen, das Hier wie das Dort sichtbar ist oder bei welcher sich als Kippfigur das eine in das andere wandeln kann. Ihre Überlegungen entsprechen Erkenntnissen aus der Graphentheorie, die bekanntlich das Verhältnis von Schleifen und Kanten beschreibt: den Schleifen kommt jeweils der Ort, den Kanten die Beziehungen zwischen ihnen zu. In dem Sinne hat sie den gesamten Boden des schwierig zu bespielenden unterirdischen Raumes mit einer Möbius-Schleife aus grau-weißem Tape durchzogen; jene erkennt kein Innen und Außen und verbindet als Leitfaden die Teile untereinander.

Renate Puvogel