Portrait

Behind the Wall, 2014, Installation an Hausfassade, Bergstrasse 77, Berlin, Foto: Klaas Stürenburg

Textauszug

Marlene Hausegger
Der Österreichische Pavillon der Venedig Biennale ist auf einem Photo zu sehen, im hellen Morgenlicht, noch ohne Besucherschlange vor seinem Eingang, noch ohne Prosecco-Stand in Sichtweite. Idyllisch erscheint dieses künstlerische Nationalheiligtum auf den ersten Blick, auf den zweiten sieht man eine junge Frau auf dem Dach sitzen, sich an das Knie fassend. Die Arbeit »Wespennest am österreichischen Pavillon«, 2013, von Marlene Hausegger lenkt auch im Titel ab von dem eigentlichen Geschehen. Die österreichische Künstlerin hat eine Nacht auf dem Pavillon verbracht, hat ihn während der Venedig Biennale 2013 »illegal« besetzt, wenn nicht gar »beschlafen« und sich am Morgen dann dort von einem Freund photographieren lassen. Diese Arbeit ist typisch für die künstlerische wie poetisch-aktivistische Arbeit von Marlene Hausegger, die sich mit ihrer Kunst oftmals wie eine »Wölfin im Schafspelz« verhält. Anders als ihre meist immer noch männlichen Kollegen hat sie in der Venedig Biennale eben nicht ARTig auf die Einladung einer wie auch immer gearteten Jury gewartet, hat für die Präsentation ihrer Arbeit nicht ordnungsgemäß die dafür vorgesehenen Öffnungszeiten genutzt, nicht einmal wirklich etwas gezeigt hat sie, denn eher versteckt ereignete sich ihre (nächtliche) Performance - selbstverständlich auch darum handelt es sich bei der im Photo dokumentierten Aktion. Stattdessen hat die Künstlerin von Anfang bis Ende selbstbewusst nach ihren eigenen Regeln gespielt und dabei den modus operandi der Besetzung aus der Sphäre des politischen Aktivismus in die Welt der internationalen »art as usual« überführt und dieses mit dem scheinbar unschuldigen, letztlich aber überaus hintergründigen Charme eines »Lausmädchenstreiches«.
Trotz - oder wegen? - dieser temporären Grenzverletzung in Venedig war Marlene Hausegger jüngst im »österreichischen kulturforum« in Berlin zu einer Einzelausstellung eingeladen. Im Zentrum der Präsentation stand, das Genre Ausstellung ein Stück weit unterlaufend, nichts als eine große Pinnwand, gespickt mit Zeichnungen, Photos, Dokumentationen, Collagen und wenigen »wirklichen« Arbeiten wie das besagte »Wespennest am österreichischen Pavillon«. Die beiden Hauptarbeiten ihrer Ausstellung »Zwischenraum, hindurchzuschauen« befanden sich nämlich nicht im »österreichischen kulturforum«, sondern im Stadtraum Berlins, außerhalb eines institutionell geschützten, aber eben auch abgeriegelten Rahmens.

Die zweite Arbeit dieser Ausstellung im Außenraum sieht man in der Bergstraße 77 in Berlin-Mitte. Genauer: An der Brandmauer eines mehrstöckigen Wohnhauses. Dort hat die Künstlerin ihre Phototapete »Behind The Wall«, 2014, aufgezogen. Eine Strategie, die sie seit 2011 in diversen Städten austestet: Vom Erdgeschoss bis unters Dach ist auf der Phototapete in der »Lebensgröße« des jeweiligen realen Hauses ein Puppenhaus zu sehen. Das hier vergrößerte Spielzeug vermittelt so den irritierenden Eindruck, es wäre möglich durch die Wand »hindurchzuschauen«, mitten hinein in Stuben der hinter der Brandmauer lebenden Bewohner. Insofern steht diese Arbeit Hauseggers durchaus den legendären »Cuttings« von Gordon Matta-Clark nahe, die ja einen tatsächlichen Einblick in diverse, allerdings unbewohnte Architekturen erlaubten.

Raimar Stange