Interview

Stefanie Böttcher, Leiterin der Kunsthalle Mainz, Foto: Wally Steimke

Textauszug

Stefanie Böttcher
J.Krb.: Du bist 1978 in Neustadt am Rübenberge geboren. Studium der Kunstgeschichte von 1998 bis 2005. Von Januar 2007 bis Ende 2013 künstlerische Leiterin des Künstlerhauses Bremen. Seit Januar 2014 als freiberufliche Autorin und Kuratorin tätig. Am 1. Juni 2015 trittst Du in der Kunsthalle Mainz die Nachfolge des Österreichers Thomas D. Trummer an, der an das Kunsthaus in Bregenz wechselt. Nun zu Deinem Kunstverständnis. Derzeit liegt es im Trend der Inhaltlichkeit einen größeren Stellenwert zuzubilligen. Auch wird der Ruf lauter, die Kunst möge sich aufgrund weltweiter Probleme politisch einmischen, solle versuchen, Antworten auf Gegenwartsfragen zu geben. Soll Kunst politisch sein oder ist sie zunächst ein ästhetisches Feld, welche Rolle kann die Kunst in einer neoliberalen und globalisierten Welt einnehmen?

S.B.: Politisch oder ästhetisch – das schließt sich nicht gegenseitig aus. Politische Ereignisse, gesellschaftliche Entwicklungen, der Wandel in der Welt das sind Themen, die oft den Ausgangspunkt eines Werkes bilden, Handlungsimpuls und Arbeitsmaterial. Dann jedoch ist es zunächst einmal Aufgabe der Kunst, eine formale Lösung für eine Fragestellung oder einen Befund zu finden. Was sich tatsächlich von dem ersten Stimulus bzw. der Ausgangsidee weiterträgt, sei dahin gestellt. Die Frage ob bzw. der Aufruf, dass Kunst politisch sein solle, bleibt zu unspezifisch. Ihr Inhalt? Ihre Intention? Ihre Wirkung? Diese fordernde Haltung ist instrumentalisierend und eindimensional. Denn der Reiz eines Kunstwerkes liegt gerade in seiner Vielschichtigkeit. Das ist auch die unverzichtbare Rolle, die Kunst in unserer Welt spielt: Sie zeigt uns, dass nicht alles eindeutig sicht-, les- und fassbar ist, sondern lüftet oder ergänzt doppelte Böden.

J.Krb.: Neben den Kunstvereinen sind auch die Künstlerhäuser in Deutschland primär der zeitgenössischen Kunst verpflichtet, sei es die Akademie Schloss Solitude, die Künstlerhäuser Schloss Balmoral, Bethanien, Schloss Wiepersdorf, Schloss Plüschow, Stuttgart oder die Künstlerstätte Stuhr-Heiligenrode. Die Künstlerhäuser sind nicht nur Ausstellungsort, sondern verschränken verschiedene Bereiche und Funktionen. So vereinigt auch das 1991 gegründete Künstlerhaus Bremen unterschiedliche Funktionen und ist Galerie, Atelierhaus sowie Produktionsstätte gleichermaßen. Welche Erfahrungen konntest Du dort sammeln?

S.B.: Die Arbeit im Künstlerhaus Bremen hat mich natürlich enorm geprägt. Es war mein Sozialisationsfeld für den Umgang mit aktueller Kunst. Ich sehe das als großen Glücksfall, dass ich über viele Jahre hinweg in einem Umfeld gearbeitet habe, in dem die Produktion von Kunst permanent parallel zu deren Präsentation abläuft. Im Gegensatz zu einem reinen Ausstellungshaus wird in den Ateliers kontinuierlich entworfen, verworfen, umgesetzt. Obwohl man als Kuratorin am Künstlerhaus Bremen sogar qua Satzung einem internationalen Programm verpflichtet ist, spielt sich ein entscheidender Teil des »Alltagsgeschäfts« in den Ateliers in der Auseinandersetzung mit den Hauskünstlern ab. Man kann nicht näher dran sein. Das ist ein Grund, weshalb ich mich ganz besonders dem künstlerischen Schaffensprozess verbunden fühle. Der Austausch und das Begleiten über einen längeren Zeitraum, das gemeinsame Brüten über einer Ausstellung und den gezeigten Werken und das Ermöglichen neuer Arbeiten, die erst fünf Minuten vor der Pressekonferenz fertig sind – das ist für mich nicht notwendiges Übel, sondern hier zeigt sich die Lebendigkeit des Entstehungsprozesses. Nervenkitzel gehört dazu und Vertrauen in die Künstler.

J.Krb.: Haben die Künstlerhäuser stärker als bisher die verschiedenen Funktionen des Hauses in ihre kuratorischen Überlegungen einzubeziehen, besteht hier ein Nachholbedarf?

S.B.: Wie gerade gesagt: Das Erfolgsrezept des Künstlerhauses Bremen liegt in der Freiheit, die es den Kuratoren bietet. Das sollte so bleiben. Wenn es für den jeweiligen Kurator interessant ist, warum nicht? Andernfalls sollte der ohnehin üppige Pflichtenkatalog nicht zusätzlich erweitert werden. Genauso wenig wie man Künstler zur Illustration von Problemstellungen instrumentalisieren sollte, sollte man auch vermeiden, Kuratoren ständig dazu zu verdonnern, bestimmte Debatten führen zu müssen. Mit der freien Wahl steigt die Zufriedenheit.

J.Krb.: Irritationen können entstehen: Museen nennen sich in Deutschland oftmals Kunsthalle, so die Kunsthalle Bremen oder die Kunsthalle Hamburg. Vice versa sind die Kunsthallen Göppingen und Düsseldorf kein Museum, sondern Ausstellungshallen. So auch die Kunsthalle Mainz. Träger der Kunsthalle Mainz ist die Stiftung Kunsthalle Mainz. Verantwortlich für das Ausstellungsprogramm zeichnet die künstlerische Leitung. Setzt Du andere Schwerpunkte oder wird es eine programmatische Kontinuität geben?

S.B.: Es wird schon ein anderer Wind zu spüren sein, aber es gibt viel Gutes, das ich fortführen oder wiederbeleben möchte. Die Screening-Reihe »Fade into you« erfreut sich beispielsweise großer Beliebtheit und ist mittlerweile ein fester Termin. Oder die Interaktion mit rheinland-pfälzischen Stipendienstätten, wie Schloss Balmoral oder der Kunsthochschule Mainz soll wieder intensiviert werden. Aber ich möchte auch neue Reihen etablieren wie »Rîtes de passage«, wo es um Durchgangsorte bzw. Übergangsbereiche, welche auch die Architektur der Kunsthalle Mainz stark prägen, gehen soll. Und für mein Ausstellungsprogramm ist die aktuelle Situation der Institution ausschlaggebend. Sie besitzt keine eigene Sammlung und wurde vor sieben Jahren eröffnet, befindet sich also mitten in ihrer Jugend. Eine schöne Konstellation: auf der einen Seite eine Kunsthalle als Institutionsform mit Renommee, auf der anderen Seite eine Phase des intensiven Wachstums. Deshalb steht für mich fest, dass ich insbesondere mit internationalen Nachwuchskünstlern arbeiten und diese zu Neuproduktionen einladen werde. Und ein weiterer Aspekt ist mir wichtig: So wie sich die Kunsthalle Mainz innerhalb der deutschen Kunsthallen-Landschaft verortet, befinden sich auch Künstler in einem lebendigen Feld aus Vorgängern und Nachfolgern, Wegbereitern und Konkurrenten. Deshalb bildet »Auf den Schultern von Giganten« ein Format, das diese Situation aufnehmen und versuchen wird, dem Verhältnis zeitgenössischer Künstler zu Traditionen und Leistungen ihrer Vorgänger nachzugehen.

J.Krb.: In den 1960/70er Jahren zogen Ausstellungen, die gut besucht waren, den spöttischen Argwohn der Kritiker auf sich. Leicht verkaufbare Kunst galt als verdächtig. Und heute?

S.B.: Warum vertraut man nicht einfach mal der Kunst und ihren Wirkungen und freut sich über sie, anstatt ständig skeptisch nach logischen Erklärungen zu suchen und dadurch das Vergnügen zu sezieren? Ansonsten gelten meinem Eindruck nach heute eher unbekannte Namen, subtile Werke oder Institutionen außerhalb der altbekannten Kunstzentren als verdächtig. Es fällt auf, dass am Ende fast alle Medien über dieselben Ausstellungen oder Ausstellungsorte schreiben und das bedaure ich. Deutschland stand immer für seine Dezentralität und diese spiegelt sich ganz besonders in der Institutionsdichte wider. Dieses Netz an Kunstvereinen, Kunsthallen und -museen, das sich über Kleinstädte wie Metropolen erstreckt und eine wahnsinnige Bandbreite und Fülle erzeugt, ist einzigartig. Andererseits sehe ich natürlich selbst, dass so viel gleichzeitig passiert, dass eine harte Auswahl getroffen werden muss. Da sind dann oft andere Kriterien als die Neuartigkeit, Qualität oder Leistung eines Künstlers oder einer Institution entscheidend. Vielerorts gedeihen Trüffel und kein Schwein sucht nach ihnen.

J.Krb.: In dem von Markus Metz und Georg Seeßlen verfassten 496 Seiten umfassenden Pamphlet »Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld« heißt es: »Der Kunstdiskurs dürfe nicht länger Handlanger des Kunstmarkts und der geschmeidigen Verbindung zwischen Politik und Ökonomie sein.« Bleibt da noch Hoffnung auf bessere Zeiten, ist die Kunst heute im Begriff, Freiräume aufzugeben, die sie sich trotz kapitalistischer Verhältnisse erkämpft hat?

S.B.: Es ging schon immer darum, Freiräume zu wahren, sie auszubauen und neue zu erobern. Hoffnung reicht da nicht. Das ist ein steter Kampf, der immer weiter läuft und längst nicht aufgegeben ist. Ein kleiner Vorstoß hier, eine Befreiungsaktion dort, andernorts ein Rückzug – das ist unglaublich viel. Alle Kunstschaffenden ringen mit Einschränkungen finanzieller, politischer, institutioneller, architektonischer etc. Art. Das macht sie im Übrigen zu Menschen! Und da wird’s für mich besonders spannend. Meine Ausstellungen »Der ideale Ort, um mit der Freiheit unter vier Augen zu sprechen« und die beiden mit Una Popoviæ kuratierten Gruppenschauen »7 Ways to Overcome the Closed Circuit« sowie »8 Ways to Overcome Space und Time« zielen genau darauf ab: auf menschliche Versuche künstlichen oder natürlichen Banden zu entrinnen und dadurch Momente der Freiheit zu erleben. Aber solche Erlebnisse oder Erfolge sind ganz persönlich und oft kleinteilig. Sie können niemals zum Massenphänomen werden.

Joachim Kreibohm