Essay

Textauszug

»Geld versklavt Kunst?«
Auktionsrekorde. Millionenbetrügereien. Muss man denn immer in einem Atemzug über Kunst und Geld reden? Es lässt sich leider nicht vermeiden. Denn wenn ein Artefakt mit zweistelligen Millionenbeträgen bewertet wird, verändert sich seine Qualität grundlegend. Zwar nicht in seinem physischen Sein, aber in allem anderen. Ästhetik ist schließlich keine feste Eigenschaft von Kunst, sondern ein komplexes und stets in Veränderung begriffenes Wahrnehmungssystem.

Kunst ist weitgehend zu »Kunst« verkommen. Sie agiert nicht anders mehr, als ihre Darstellung in einer Soap-Opera. So drastisch spitzen es jedenfalls Markus Metz und Georg Seeßlen zu. In ihrer 496 Seiten langen Polemik »Geld frisst Kunst – Kunst frisst Geld« fordern sie vor allem mehr Dissens ein. Gegen Subjektivität ohne Inhalt und totale Ökonomisierung müsse der Freiheitsbegriff wieder ernst genommen werden – und das am besten bei anarcho-syndikalistischen Strukturen. Doch sie stellen das Ausgeliefertsein an das Geld derartig grundsätzlich und hoffnungslos dar, dass selbst 42 freche Thesen auch in der Luther-Dekade wenig mehr als nur ein utopischer Denkanstoß bleiben.

Die Kunst aber ist selbstreflexiv genug. Sie muss nicht selbst politisch werden und sich stärker bemühen, die Gesellschaft abzubilden. Das tut sie schon: In ihrer aktuell manischen Geldfixiertheit spiegelt die Realität durchaus. Doch die Enkelgeneration der Fluxus-Bewegung hat längst Formate entwickelt, die als »Kunstverweigerungskunst« bezeichnet werden. Das einem breiten Publikum vielleicht bekannteste Beispiel ist das Groß-Graffiti des Street-Art-Künstlers BLU in Berlin: 2007 an der Cuvry-Brache auf zwei Brandmauern erstellt, wurde es Teil des Stadtmarketings und des Gentrifizierungsprozesses. Im Dezember 2014 wurde alles gegen Protest zur Gänze schwarz übermalt. Und zwar nicht von einem Investor, sondern vom Künstler selbst, der die inzwischen zum Meta-Zeichen gewordene Situation der weiteren Vermarktung radikal entziehen wollte. Und manches, was in Off-Räumen und an der Grenze zur sozialen Intervention entsteht, ist höchstens sehr mittelbar durch das große Geld beeinflusst – und sollte weiterhin entschieden gegen die Logik des Kapitals verteidigt werden. Denn wenn Menschen früh und niedrigschwellig mit Kunst in Kontakt kommen, werden sie vielleicht später die Notwendigkeit auch der großen Kulturinstitutionen akzeptieren und sich den Kontakt zur Kunst nicht durch übergroße Zahlen verstellen lassen. Ein Gutes an der Kunst bleibt aber nach wie vor: Sie funktioniert in allen Teilen wie ein Spiegel. Es kommt also auf die Art der an jedes Artefakt und jede Aktion gestellten Fragen an, die können selbstverständlich auch politisch sein. Und dafür verantwortlich ist kein System, sondern – ob reicher Sammler oder armer Kritiker – jeder Einzelne. Also Sie.

Hajo Schiff