Artist Ausgabe Nr. 31

Portraits

Jane und Louise Wilson | Michel Majerus | Thomas Rentmeister | Mariella Mosler | Gerold Miller | Thomas Bayrle

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Dellbrügge / De Moll

Künstlerbeilage

Simone Westerwinter

Edition

Alex Hanimann

Interview

Textauszug

Carl Haenlein und Carsten Ahrens
J.K.: Gehen Sie davon aus, daß die in den Museen und Kunstvereinen ausgestellten Positionen austauschbar sind?

C.H.: Ja und nein. Selbstverständlich kann das Sprengel Museum eine gelungene Base litz-Aus-stellung machen. Und es ist ohne weiteres vorstellbar, daß wir zur gleichen Zeit eine vorzügliche Baselitz-Ausstellung machen, Dann überlappt sich gar nichts, sondern man sieht, wie fassen die im Sprengel Museum das Phänomen der Ausstellung auf, und wie verstehen wir unsere Arbeit. Das entscheidende ist die Handschrift, die eine Ausstellung prägt. Das Museum, wenn es funktioniert, ist ein Haus, das eine Sammlung hat, diese nach Möglichkeit über Ausstellungen weiterentwickelt und Ausstellungen veranstaltet. Die Kunsthalle oder der Kunstverein ist ein Haus, das ebenfalls Ausstellungen macht, aber keine Sammlung hat. Ein Museum, wenn man will, kommt dennoch auch durch zeitlich begrenzte Ausstellungen zustande. Das berühmte Musée imaginaire von André Malraux ist ein Haus, dessen Bildervorrat von keinem Museum der Welt übertroffen werden kann. Man muß nur jeweils zwei oder drei Werke aus den Ausstellungen den Kestner Gesellschaft im Kopf behalten, und schon haben Sie eine exquisite Weltgalerie. Eine Sammlung würde der Arbeit einer Kunsthalle eine zusätzliche Dimension geben. Mich würde es keineswegs stören, wenn die Kestner Gesellschaft eine Sammlung von internationaler Qualität besäße. Im Gegenteil...

J. K.: In den 60er Jahren galt die Gleichung, je weniger Besucher, desto besser die Kunst, heute werden hohe Einschaltquoten als Garant für Qualität bemüht. Welchen Stellenwert haben für Sie Besucherzahlen?

C.H.: Das kann ich ihnen genau sagen. Ich halte weder etwas von der einen noch von der anderen Gleichung. Sie gehen am Thema vorbei. Eine der schönsten Ausstellungen, die mir in der Frühzeit des Hauses gelungen ist, war Cy Twombly. Das war eine exquisite Ausstellung und da kamen innerhalb von sechs Wochen, die Eröffnung mitgerechnet, 113 Personen. Das war natürlich entsetzlich, hat mich aber nicht im geringsten in meinem Selbstverständnis als Kurator erschüttert, mit Ausstellungen dieses Typs weiterzumachen. Ich sagte mir immer, die hier einen großen Fehler machen, das sind die Kunstfreunde in dieser Stadt und nicht wir. Hingegen brachte die Chagall-Retrospektive mit dem Centre Pompidou mit 9O~OOO Besuchern den Hausrekord. Aber auch das konnte mich nicht im mindesten dazu verführen, nun nur noch Ausstellungen dieses Typs zu produzieren...

J.K.: Herr Haenlein, Sie haben einmal formuliert, fast alle bedeutenden Künstler der Gegenwart gezeigt zu haben. Aber was ist beispielsweise mit Richter, Polke, Rückriem? Wollten Sie nicht oder wollten die Künstler nicht?

CH.: Das sind Defizite, die ich bedaure. Mit Gerhard Richter sind wir übrig.ens im Gespräch. Wir wollten hier den »Atlas« zeigen, der jetzt auf der documenta präsentiert wird, damit erübrigt sich das. Aber nach wie vor steht Richter auf der idealen Liste, und dies gilt auch für Sigmar Polke und Ulrich Rückriem, der sicher in der Goseriede viel besser gezeigt werden kann als in der Warmbüchenstraße. Dennoch: Nicht jeder Traum realisiert sich...

J.K.: Welche Rolle wird die Kestner Gesellschaft künftig im bundesweiten Vergleich spielen?

CA: Ich denke, daß wir in diesem Konzert der großen institute schon seit langem dabei sind und die spezifische Qualität unserer Arbeit wird in Zukunft sicherlich deutlicher sichtbar als bisher...

Joachim Kreibohm