Artist Ausgabe Nr. 31

Portraits

Jane und Louise Wilson | Michel Majerus | Thomas Rentmeister | Mariella Mosler | Gerold Miller | Thomas Bayrle

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Dellbrügge / De Moll

Künstlerbeilage

Simone Westerwinter

Edition

Alex Hanimann

Polemik

Textauszug

»Pittoreske Elend«
Nehmen wir Rirkrit Tiravanija: Seine Arbeiten gelten in bestimmten Kreisen als affirmativ, als harmlos und anbiedernd. Andere sprechen seinen Arbeiten schlichtweg den Kunststatus ab oder vermissen die »Tiefe« seiner Überlegungen. Im Unterschied zur Eigendynamik des Prozesses, etwa bei Eröffnungen, wird von Tiravanija werkimmanent gezielt eine Struktur entwickelt, die dem Bedürfnis nach Kommunikation Rechnung trägt, etwas, das in der traditionellen Werkrezeption unseres Jahrhunderts - trotz wiederholter Versuche von seiten der Künstler und Künstlerinnen kaum vorgesehen war. Ob Tiravanija kocht, Tee anbietet oder Leuten die Möglichkeit einräumt, Musik zu machen, stets wird an die Stelle der konfrontativen Beziehung zwischen Kunst und Betrachter eine Plattform für eine kommunikative und zuletzt kollektive Produktion gesetzt. Im Grunde genommen handelt es sich um die (Rück-)Eroberung eines Erlebnis- und Erfahrungsspielraumes, der zwischenmenschliche Komponenten mitberücksichtigt...

...Ein anderes Beispiel: Christine und Irene Hohenbüchler. Der Vorwurf, die Hohenbüchlers würden behinderte Menschen für ihre Zwecke benutzen oder gar ausbeuten, gehört ebenfalls zum Standardrepertoire der aufgeklärten Kunstkritikerlnnen. Ja, die Künstlerinnen arbeiten mit Behinderten, psychisch Kranken und Inhaftierten, die freiwillig oder unfreiwillig am Rande der Gesellschaft leben, aber bedeutet das im selben Atemzug Mißbrauch? Die Hohenbüchlers benutzen offensichtlich nicht die Menschen, mit denen sie zu tun haben, eher instrumentalisieren sie Muster im Umgang mit und in der Wahrnehmung von Behinderten (die, nebenher bemerkt, nicht von ihnen erfunden worden sind). Über die Idee der nicht kulturell konditionierten Schöpferkraft, des ursprünglichen, ungestümen Schaffens, gelingt es den Hohenbüchlers, an gängige Vorstellungen und vorhandene Legitimationsmodelle im Umgang mit Behinderten oder Gefangenen anzuschließen...

Harald Welzer