vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 44

Portraits

Nicole Wermers | Liam Gillick | DANIEL ROTH | GERHARD MERZ | Nicola Torke

Interview

Harald Falckenberg

Page

Johannes Wohnseifer

Künstlerbeilage

Nikolaus List

Interview

Textauszug

Harald Falckenberg
J.K.: Hans Grothe ist stolz, auf Berater verzichten zu können. Wilhelm Schürmann betont, nur ängstliche Leute brauchen Berater. Sammeln Sie selbst oder flüstert Ihnen jemand ständig etwas zu?

H.F.: Für mich ist Sammeln geistige und emotionale Auseinandersetzung, Traum und Trauma, letztlich ein Stück Selbstverwirklichung im wahrsten Sinne des Wortes. Mit diesem Ansatz ist eine Beratung, die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Sammlung ständig beeinflußt oder sogar leitet, nicht vereinbar. Für andere Sammlungen, etwa mit kompliziertem kunsthistorischem Hintergrund, mag dies anders sein. Es kann sein, daß eine Sammlung, z.B. ganz junger Kunst aus spekulativ-kommerziellen Gründen angelegt wird und der Berater nicht nur seine Fachkenntnisse, sondern auch seine marktspezifischen Verbindungen einbringt. Immer hat die Beanspruchung von Beratung etwas damit zu tun, daß dem Sammler Sach- und Fachkenntnisse fehlen. Hierüber sollte sich der Sammler genau Rechenschaft ablegen. Stolz und Mut - um auf Ihre Frage zurückzukommen - hat ein niedersächsisches Ehepaar mit einer Sammlung zeitgenössischer Kunst bewiesen, das mir letzte Woche bekräftigte, es würde sich durch niemanden und nichts beraten lassen und auf die Frage nach dem Sammlungskonzept antwortete (nach Überlegung):

\"Wir sammeln konservativ\". Ich habe mit vielen Künstlern, Galeristen und Museumsleuten diskutiert, gestritten, Ratschläge eingeholt und auf diese Weise nach und nach Sachkenntnisse aufgebaut und Zusammenhänge erfahren.
Auf der Reise in Sachen Kunst muß man Hindernisse und Selbstzweifel überwinden. Man braucht deshalb zuweilen auch Zuspruch und Aufmunterung. Besonders wichtig aber erscheint mir, daß der Sammler sich für Kritik offenhält und nicht mit Ja-Sagern umgibt. Man macht beim Sammeln Fehler. Wichtig ist, daß man sie erkennt und abstellt. Mein besonderer Dank gilt den wohlwollenden und zugleich unnachgiebigen Kritikern meiner Sammlung, insbesondere Werner Büttner, Zdenek Felix und Christoph Grau....

...J.K.: Sammler wie Brandhorst, Marx, Lenz Schönberg oder Grothe überlassen ihre Schätze gänzlich oder leihweise den Museen, andere wie Ingvild Goetz bauen sich selbst ein Museum. In der Süddeutschen Zeitung war zu lesen, daß Sie den musealen Anspruch der meisten Sammler für nicht mehr zeitgemäß halten. Sie betonen, Museen machen zu viele Wechselausstellungen mit Eventcharakter, bieten populäre Zusatzangebote wie Reisen und Veranstaltungen, sind ständig auf der Suche nach Sponsoren, so daß für die Betreuung einer Sammlung kaum noch Zeit bleibt. Sie plädieren für einen neuen Umgang von Museen und Sammlern zeitgenössischer Kunst.

H.F.: Ich muß Ihnen gestehen, mir hat die Schlagzeile \"Den Betoneffekt einer musealen Sammlung lehne ich ab\" in der Süddeutschen Zeitung überhaupt nicht gefallen, weil in meine Ausführungen ein ungewollter antimusealer Touch hineinkam. Die Museen haben es heute schwer genug und sie verdienen Unterstützung. So haben mein Freund Jockel Waitz und ich eine Stiftung an der Kunsthalle Hamburg eingerichtet. Mir geht es darum, daß die Sammler ihren Umgang mit den Museen und die jeweilige Zielrichtung ihres Sammelns neu überdenken. Und sofern ihre Zielrichtung ist, museal zu werden, dann müssen sie sich kritisch die Frage stellen, ob die Museen heute nicht zwangsläufig die Erwartungshaltung von Sammlern enttäuschen müssen. In der Regel haben die Museen heute weder Raum noch Zeit für die Integration und Betreuung privater Sammlungen. Diese Entwicklung sollten die Sammler genau unter die Lupe nehmen und akzeptieren, daß sie als große Sammlung in den Museen nicht ständig Platz haben können. Auch sind Sammler zu kritisieren, die Museen und …ffentlichkeit aus Profilierungssucht oder spekulativen Motiven zu Investitionen überreden, die jede vernünftige Relation sprengt.

Joachim Kreibohm