Artist Ausgabe Nr. 56

Portraits

Ina Weber | Franz West | Kalin Lindena | Oliver Godow | Friedrich Kunath

Page

Jochen Twelker

Polemik

Stephan Berg

Ausstellungen

»Die offene Stadt»

Künstlerbeilage

Alex Hanimann

Interview

Rosemarie Schwarzwälder, Foto: Angelika Hausenblas

Textauszug

Rosemarie Schwarzwälder
J.K.: Was fasziniert Sie beispielsweise an der Arbeit von Helmut Federle, Manfred Pernice und Karin Sander?

R.Sch.: Es ist kein Zufall, dass Sie gerade nach drei so unterschiedlichen Künstlern und Werken fragen. Mit Helmut Federle verbindet mich eine bald zwanzigjährige Lebensgemeinschaft, die in der Bewunderung seines künstlerischen Ernstes und seiner großen künstlerischen Kraft beruht. Es ist etwas anderes, ob man z.B. mit einem erfolgreichen Banker liiert ist oder mit einem erfolgreichen Künstler, der einen unablässig fordert. Fragen der Kunst spielen immer eine Rolle. Das ist kein gemütlicher Spaziergang. Und es ist oft auch eine Konfrontation zwischen einer Galeristin und einem Künstler, jemandem, der auf den Markt achten muss, und jemandem, der den Markt kritisch hinterfragt. Ihm verdanke ich viele Impulse, aber umgekehrt ist es genauso. Federles Beharren auf der Bedeutung von Kunst, seine unablässige kritische Analyse des Kunstbetriebs und sein spezielles Bekenntnis zur ewigen Aktualität von Malerei - unabhängig von Zeitmoden des Betriebs - sind für mich wichtig.

J.K.: Im Vorwort der von Ihnen herausgegebenen Ausstellungspublikation »Abstrakte Malerei aus Amerika und Europa« (1988) betonen Sie: »Durch die spezifische Auswahl der Künstler antworte ich auf das für unsere Zeit typische Verhalten, das Neueste (Jüngste?) geschichtslos als relevant zu begreifen«. Wie bestimmen Sie das Verhältnis von Moderne und Postmoderne?

R.Sch.: Wenn ich z. B. eine Mimbres-Schale sehe, die ca. 1000 Jahre alt ist, ist deren malerisches Vokabular erschütternd prägnant und modern. Da fängt der Begriff der Moderne an, zeitlos zu werden. Diese Form der Modernität interessiert mich. Es gibt Arbeiten, die sind 1000 Jahre alt und haben eine Frische, die einem den Atem nimmt. Dies ist auch ein Qualitätskriterium aus meiner Sicht. Ich betrachte etwas neu Geschaffenes, und es langweilt mich. Etwas ist gerade mal 10 Jahre alt und hat seine Kraft bereits verbraucht. So geht es mir oft in zeitgenössischen Museen. Es steht mir nicht zu, hier Urteile zu vergeben. Aber die Frage, ob ein heutiges Kunstwerk dauerhaft wirken kann, ist ein Härtetest. Was ich weiß ist, dass es in der Vergangenheit immer wieder Arbeiten gegeben hat, die diese Kraft besaßen. Warum sollte es heute nicht mehr möglich sein?

J.K.: Heute scheinen die Rollen nicht mehr festgeschrieben zu sein. So sind Fernsehmoderatoren gleichermaßen für Ratespiel, Skispringen und Mädchenhandel zuständig. Auch die Politiker scheinen leichtfüßig die Ressorts zu wechseln: mal zuständig für Finanzen, dann für das Innere oder für die Familie. Da will der Kunstbetrieb nicht zurückstehen. Der Künstler wird zum Kurator, der Kritiker zum Künstler. Ist dieser ständige Rollenwechsel eine Befreiung von längst überholten Normen oder hat sich hier eine Beliebigkeit durchgesetzt, wobei deren Protagonisten Glaubwürdigkeit und Kompetenz vermissen lassen?

R. Sch.: Sich alles zuzutrauen, halte ich für falsch. Für mich selbst beanspruche ich nur eine limitierte Zuständigkeit. Es ist möglich, dass andere mehr Potential haben, und natürlich geht man selber immer auch an die eigenen Grenzen. Trotzdem ist es auch gut, die eigenen Grenzen nicht mutwillig zu überschreiten, sondern sie zu achten und innerhalb der Grenzen das Maximum zu erreichen. Meines Erachtens ist es nur wenigen Menschen gegeben, überzeugend grenzüberschreitend zu handeln und die hohen Ansprüche einzulösen, die ich in der Kunst und im Kunstbetrieb erwarte. Es ist gerade die Beliebigkeit, die ich als Riesenproblem wahrnehme und die mich dazu ermutigt, in meinem eigenen Revier genauer zu arbeiten.

Joachim Kreibohm