Artist Ausgabe Nr. 114

Portraits

Reinhold Budde | Thomas Judisch | Candice Breitz | Korpys / Löffler

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Wiebke Siem

Edition

Thomas Judisch

Essay

Textauszug

»Posthum«
Eigentlich ist es paradox: Je mehr wir in der Gegenwart leben und der Gleichzeitigkeit unserer digitalen Verfügbarkeit nachkommen, desto weniger sollte uns die zukünftige Vergangenheit beschäftigen. Wenn wir mal ausgebrannt sind, wenn die Kunst uns oder sich selbst verbraucht... Oder lebt die Kunst eines jeden Künstlers auch ohne uns ewig weiter? An welche Werke erinnert man sich? Auch an Werke, die nicht in langfristigen Museumspräsentationen aufgereiht Kunstgeschichte spielen? Was wollen wir freudig wiedererkennen, sofern es nicht schon irgendwo an der Wand klebt oder auf dem Boden den Staub anzieht? Was ist, wenn die Hoffnungen und Erwartungen an die Zukunft klappern und dann kippen? Wieweit müssen Künstler zu Lebzeiten und ihre Kunst zu Betriebszeiten gekommen sein, damit nach der kreativen Lebenszeit die Zukunft sich nicht in traurige Vergessenheit verkehrt? Wie steht es mit dem Wiederverkaufswert, dem kunsthistorischen und dokumentarischen Stellenwert und der Überzeugungskraft der Nachkommen?

Seit etwa zehn Jahren wird die Diskussion, wie man einen Künstlernachlass gestalten sollte, immer lauter geführt. Es finden Kongresse zum Thema statt, Bücher erscheinen und Stiftungen sowie Vereine zur Nachlassverwaltung werden gegründet. Selbst Galerien, die eher für zeitgenössische Kunst bekannt sind, entdecken gleichermaßen die kulturelle Verantwortung und das lukrative Geschäft mit den Künstlernachlässen zumindest der schon zu Lebzeiten berühmten Künstler. In »Die Zeit« Nr. 06/2016 erschien von Tim Ackermann der Artikel »Ist das was wert – oder kann das weg?« Der Autor stellte u. a. die Fragen: »Wie platziert man einen Künstlernachlass am Markt? Und wie im Museum?« Zudem verwies er auf Symposien zum Nachlassthema wie im Januar 2016 im Kölner Auktionshaus Van Ham, wo auch der Van Ham Art Estate betrieben wird, oder im Dezember 2015 in der Berliner Akademie der Künste. Dort wurde dem Bundesverband Künstlernachlässe in Aussicht gestellt, gegründet 2017 als bundesweiter Zusammenschluss regionaler Künstlernachlassinitiativen mit Sitz in Berlin. 2016 erschien »Der Künstlernachlass. Handbuch für Künstler, ihre Erben und Nachlassverwalter« im Hatje Cantz Verlag. Die Herausgeberin Loretta Würtenberger möchte mit ihrem Buch zum richtigen Umgang mit Künstlernachlässen im 21. Jahrhundert Anregungen geben und berät mit ihrem eigenen »Unternehmen Fine Art Partners« seit einigen Jahren auch Künstler und Künstlernachlässe bei Aufbau und Entwicklung von Nachlasskonzepten sowie operativen Fragen. Würtenberger verweist in den Ankündigungen ihres Buches auch auf Andy Warhol: »Death can really make you look like a star.« Und fügt dann hinzu: »Doch das Ableben per se stellt keinen Katalysator für die Bedeutung eines Künstlers dar. Zur posthumen Bewahrung und Entwicklung des künstlerischen Erbes ist die passende Nachlassstruktur von entscheidender Bedeutung. Den möglichen rechtlichen Gestaltungsrahmen, passende Finanzierungsmodelle sowie den richtigen Umgang mit Markt, Museen und Wissenschaft« soll das Handbuch von Loretta Würtenberger vorstellen.

»Ziel des Archivs für Künstlernachlässe der Stiftung Kunstfonds ist die fachgerechte Erfassung, Sicherung und Aufbewahrung gesamter Werkkomplexe der jüngeren Kunst. Nicht die einzelne Arbeit, sondern das Gesamtwerk eines jeden Künstlers steht im Vordergrund und wird der kunst- und restaurierungswissenschaftlichen Forschung zur Verfügung gestellt, um neue Perspektiven zum künstlerischen Prozess zu gewinnen. Darüber hinaus sollen die Kunstwerke dem institutionellen Ausstellungsbetrieb als Leihgaben anvertraut und so der interessierten Öffentlichkeit gezeigt werden.«

Roland Schappert