Artist Ausgabe Nr. 75

Portraits

Karin Sander | Pawel Althamer | René Lück | Tilo Schulz | Elmar Zimmermann

Interview

Stephan Berg

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Christine Würmell

Künstlerbeilage

Ina Weber

Portrait

Gebrauchsbild Wedding, Berlin, Gestohlen am 28.01.2005. Zurück gebracht am 31.01.2005, 2002, Baumwollgewebe auf Keilrahmen in Standardgrößen, weiße Universalgrundierung 200 x 300 cm. Foto: Studio Karin Sander, © VG Bild-Kunst, Bonn 2008

Textauszug

Karin Sander
»Ich erfinde nicht, ich finde«, hat Karin Sander einmal gesagt - nämlich was? Zustände von Gegebenem, die ohne ihre künstlerischen Eingriffe nicht eintreten würden. In der Quantenmechanik spricht man von Zustands- überlagerungen, wenn ein System sich theoretisch in unterschiedlichen Eigenzuständen befinden kann, man aber nicht weiß, in welchem es gerade ist. Stellen Sie sich der Einfachheit halber einen Wasserhahn vor, aus dem Wasser strömt, von dem Sie nicht wissen, ob es heiß oder kalt ist. Als normaler Mensch kriegen Sie das raus, indem sie einen Finger in den Wasserstrahl halten und anschließend finden, das Wasser sei warm oder kalt. Aber als Quantenphysiker würden Sie sagen, dass das Wasser erst in dem Augenblick in den Eigenzustand »warm« gesprungen ist, als Sie Ihren Finger in den Strahl hielten. Denn über einen Zustand jenseits des Vorgangs der Beobachtung können Sie keine Aussage machen; solange Sie die Temperatur des Wassers nicht prüfen, befindet es sich also in einer Zustandsüberlagerung.

Man sieht, Zustände, die beobachtet werden, sind nicht identisch mit solchen, die nicht beobachtet werden. Die Quantenmechanik bringt - wie Douglas Hofstadter sagt - »einen Schuss Launenhaftigkeit in die Endgültigkeit der Naturgesetze«, indem sie den Zustand von etwas davon abhängig macht, das und wie es beobachtet wird. Das gibt auch eine perfekte Definition von Kunst ab. Zustandsüberlager- ungen und -veränderungen durch Beobachtung sind exakt das, was Karin Sander herstellt.

Harald Welzer