Artist Ausgabe Nr. 109

Portraits

Nick Koppenhagen | Lili Reynaud Dewar | Rochelle Feinstein | Albert Oehlen | Jimmie Durham

Interview

Susanne Titz

Page

Michael Schmid

Edition

Michael Schmid

Portrait

Selbstportrait als Holländerin, 1983, oil on wood, 200 × 150 cm, Foto: Archiv Galerie Max Hetzler, Berlin | Paris, © Albert Oehlen

Textauszug

Albert Oehlen
»Was ich wirklich will ist, Tiefe in die Malerei zu bringen.« (Albert Oehlen 2013, zitiert in: fabric paintings, Skarstedt Gallery, New York, 2014). Als Albert Oehlen Anfang der achtziger Jahre die Kunstszene betrat, war niemand auf diese Bilder gefasst. Während alle Welt davon überzeugt war, dass sich Malerei als Kunstgattung erledigt hatte, bestanden er und Weggefährten wie Werner Büttner und Martin Kippenberger erst recht auf dem Klischee des Pinsel schwingenden Vollblutmalers. Der 1954 in Krefeld geborene Oehlen hatte schließlich bei Sigmar Polke in Hamburg studiert. Aber in dieser neuen Malerei erinnerte nichts an Polke. Sie schien hinter dessen Raffinesse weit zurückzufallen und stattdessen einem ruppigen DDR-Expressionismus zu huldigen. Doch mit der Paraphrasierung der als nicht westlich und damit selbstredend nicht fortschrittlich verpönten 1950er- und 60er-Jahre Gegenständlichkeit kam etwas in die Kunst zurück, das man offenbar dann doch ziemlich vermisst hatte: Dynamik, Unmittelbarkeit, Sinnlichkeit.

Die jeweiligen Fragestellungen entwickeln sich aus dem Umgang mit dem Material, neuen Bildtechniken oder der Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte in umfangreichen Serien. Bei der Serie der Selbstporträts steigt Oehlen in den Ring mit dem ganzen »riesigen historischen Apparat« der Malerei. In »Selbstportrait als Holländerin« (1983) ist der Künstler nur an dem ihn damals kennzeichnenden dünnen Schnurrbart zu erkennen, mit dem er sowohl Sebastian Haffner, dem Historiker und Autor der 1978 erschienenen »Anmerkungen zu Hitler«, als auch Salvador Dalí seine Reverenz erweist. Anstelle von Totenschädel und Palette, den typischen Attributen des mit sich ringenden Künstlers, wird eine holländische Haube zum unpassenden Accessoire. Das Motiv stammt von der 1936 entstandenen Fotografie »The Dutch Girl« von Paul Outerbridge (1896 – 1958) im Cleveland Museum of Art, die Oehlen fast perfekt imitiert. Die Irritation ist garantiert, aber der komische Effekt verpufft angesichts der merkwürdigen Zahnräder, die aus dem Körper wachsen und ihn zwischen sich zu zerquetschen drohen.

Auf die Selbstporträts folgen die Spiegelbilder, bei denen er Spiegel auf die Leinwand montiert, um den Betrachter mit ins Bild zu holen und den Bildraum zu erweitern. Entgegen des Eindrucks eines schnellen gestischen Zugriffs arbeitet Oehlen langsam und kontrolliert. Zu seiner analytischen Herangehensweise gehört auch der Dialog mit Künstlerfreunden. 1988 teilt er das Atelier für ein halbes Jahr mit Martin Kippenberger. In dieser intensiven Zeit erfolgt eine Zäsur: Albert Oehlen wechselt zur Abstraktion, oder, wie er es selbst halbernst nennt, zur »postgegenständlichen Malerei«. Die andauernde malerische Untersuchung dessen, was eigentlich ein Bild ausmacht, hat den erzählerischen Inhalt des Gegenstands verschluckt, so dass er nicht weniger abstrakt ist als freie Formen und Linien. Der Gegenstand des Bildes ist die Malerei.

Auch die seit 2013 entstehenden »Baumbilder« werden am Computer entwickelt. Bezeichnend für die Serie ist einmal das schwarze, zentrale Bildmotiv, das sich tentakelartig auf der Bildfläche ausbreitet und mehr oder weniger entfernt an einen Baum, aber auch an eine menschliche Figur erinnert. Zum anderen gliedern ein oder mehrere leuchtend rote Felder mit einem deutlichen Verlauf den ansonsten weißen Hintergrund. Der Baum als Zwitterwesen zwischen organischer und abstrakter, die Fläche domestizierende Form spielt schon bei Piet Mondrian eine wichtige Rolle. Bei Oehlen taucht das Motiv in einem 2?×?2 Meter großen quadratischen Bild 1988 auf, dem für ihn entscheidenden Jahr der Loslösung vom Gegenstand. 2004 finden sich im Daphnemotiv »Frau im Baum« alle drei Elemente vereint: der Baum, die menschliche Figur und die sich ins Weiß aufhellende magentafarbene Fläche.

Bei den neuen Bildern schiebt sich das vibrierende Rot wie ein Schirm zwischen die schwarze Form und die Grenzenlosigkeit des weißen Bildgrunds. Es gibt dieser Form aber auch einen starken Impuls, so dass sie beginnt, sich virtuell um die eigene Achse zu drehen. Das unbestimmte Motiv wird trotz seines konstruierten Aufbaus aus schablonenhaften Elementen zu einem sehr lebendigen Wesen, das eine Art Tanz aufführt. Aludibond als Bildträger bietet dieser Suggestion von Beweglichkeit wenig Widerstand. In dieser Mischung aus piktogrammartiger Notation, Figur und Bewegungselementen erinnern diese »Baumbilder« vor allem an Klangfarben, Rhythmus und Tanz und daran, dass Albert Oehlen auch Musiker ist und Musik nun mal dazugehört zu dieser Malerei.

Sabine Elsa Müller