Portrait

Marionette aus: Wael Shawky »Cabaret Crusades: The Secrets of Karbala«, 2014; Courtesy the artist and Sfeir-Semler Gallery Beirut/Hamburg, Foto: © Achim Kukulies, © Kunstsammlung NRW

Textauszug

Wael Shawky
Seit 2009 arbeitet Wael Shawky, der zu den Protagonisten der ägyptischen Kunstszene gehört, an seiner Trilogie »Cabaret Crusades«, einem länger gereiften Projekt, das in Form von Marionettenanimationsfilmen die Geschichte der mittelalterlichen Kreuzzüge aus arabischer Sicht in ein Bühnenspiel verwandelt. Mit den beiden ersten Teilen erreichte Shawky auf der documenta 13 internationale Resonanz und Diskussion. Der dritte Teil wird derzeit in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen als Bestandteil der Einzelausstellung des Künstlers in der Grabbehalle produziert. Hinter einer Glaswand einsehbar für das Publikum sind sowohl das Filmsetting, das Bühnenbild, die Lagerung und Präparierung der Puppen als auch die Dreharbeiten - ein Ausstellungsexperiment und Novum für Museum und Künstler. Zudem sind auch die ersten beiden Teile der Trilogie zu sehen; eine Einladung zu einer ungewöhnlichen Form von Geschichtsunterricht.

Ausgangspunkt und Grundlage der Skripte Shawkys ist das 1983 erschienene Buch von Amin Maalouf »Les croisades vues par les Arabes« (1996 unter dem Titel: »Der Heilige Krieg der Barbaren: Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber« ins Deutsche übersetzt).

Alle drei Teile unterscheiden sich stark in Ausstattung, Bühnenbild und Filmsprache. Der erste Teil »The Horror Show File« (2010, 30 Min.) konzentriert sich auf die Geschichte des Ersten Kreuzzuges (1096 – 1099). Er wurde in Italien mit kostbaren Holz-Marionetten aus dem 18. Jahrhundert aus der Turiner Sammlung Lupi produziert. Für den zweiten Teil »The Path to Cairo« (2012, 60 Min.) ließ der Künstler nach eigenen Entwürfen und Zeichnungen Keramikskulpturen in Südfrankreich (Aubage) herstellen. Sie führen Geschehnisse der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor. Für den neuen Teil »The Secrets of Karbala« (2014, ca. 80 Min.), wurden kostbare Glasmarionetten nach Zeichnungen afrikanischer Skulpturen im venezianischen Murano angefertigt. Man darf gespannt sein, wie er dieses ungewöhnliche Material für die Darstellungskraft der Puppen einsetzen wird. Vor allem im zweiten Teil gelingt Shawky mit den bisweilen aberwitzig deformierten Puppen eine Ausdrucksqualität, die an Heinrich Kleists Faszination und Bemerkungen »Über das Marionettentheater« erinnert (Anmut durch Abwesenheit von Bewusstsein). Die Puppen zappeln, zittern, hüpfen, bewegen ihre Augen und bringen mit wenigen Gesten und inszenierten Blickwechseln Angst, Aufregung und Abgebrühtheit, bisweilen auch die Distanz zu den dargestellten Brutalitäten ins Spiel. Von besonderer Bedeutung ist die Musik des Kabaretts, ein Mix aus eigenen Kompositionen, Gesängen arabischer Perlenfischer, ägyptischem Elektropop, orientalischen Rhythmen, Minimal-Musik, die den schonungslosen Mix aus Intrigen, Verrat, Heuchelei, Mord und Totschlag um ein weiteres verfremden; als wäre das Welttheater ein einziger »unendlicher Spaß«, der die Zuschauer wieder in das Bewusstsein eines Kindes zurückschleudert. Während sich der erste Teil noch stärker an einer realistisch wirkenden Puppenspiel-Landschaftskulisse orientiert, besteht die Bühnenausstattung von »Path to Cairo« aus schematisierten Darstellungen arabischer Miniaturen aus Papier, vergleichbar einem dreidimensionalen Pop-up-Buch; Stadtdarstellungen, die mit den Brandangriffen der Feinde ebenso schnell verglühen. Neben arabischer Fabulierlust spielt auch der den Muslimen derzeit eher aberkannte Humor eine Rolle, wenn eine Szene allein aus der »Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn…«-artigen Aufzählung der ruhmreichen Kriegstaten Imad ad-Din Zengis besteht, oder die Dehnbarkeit vorgeschobener religiöser Standpunkte und Wankelmütigkeit in ständigen Konvertierungsaufforderungen beider Seiten pointiert wird.

Sabine Maria Schmidt