vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 66

Portraits

Dirk Stewen | Claudia Kapp | Harald Braun | Marlene Dumas | Eberhard Havekost | Michel Majerus

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Tilo Schulz

Künstlerbeilage

Wiebke Siem

Edition

Jürgen Paas

Portrait

72 kg, 1988, Beton, Eisen, 32 x 32 x 46 cm, Foto: Valentin Wormbs

Textauszug

Harald Braun
Doch Braun ist kein Purist der Materialgerechtigkeit, der sich gegen den postmodernen Trend stemmt. Dies zeigt sich schon in der oft ungewöhnlichen Kombination von Stoffen. So gießt er bunte Wolldecken und andere grobe Textilien in die Skulpturen ein. Anders als beispielsweise Fischli & Weiss, die Gegenstände unterschiedlichsten Gewichts gleichermaßen in dem leichten Material Polyurethan nachbilden, sind Harald Brauns Gewichtsplastiken, ihrem Namen entsprechend, wirklich sehr schwer, nämlich aus Beton. Darf man bei Fischli & Weiss die Objekte nicht berühren oder gar anheben, wäre man zu letzterem bei Brauns Plastiken auch bei großer Körperkraft kaum in der Lage. Die schlichten Titel geben das exakte Gewicht an, etwa »72 kg«, entstanden 1988, oder »109 kg« von 1992. Wenn man Braun zunächst einmal der Bildhauerei zuzuordnen geneigt ist, trifft das schon von der Ausbildung her nicht zu, denn er ist gelernter Maler. Vielleicht kann man es so beschreiben: Harald Braun ist nicht Bildhauer, sondern die Bildhauerei ist gleichsam das Leitmedium, das den Einsatz verschiedenster Medien in seinem Werk leitet. Wenn er zeichnet oder malt, wird das Physisch-Haptische ebenso betont wie bei der Integration von Bildvorlagen in seine wand- und raumfüllenden Materialcollagen. Durch die Vergrößerung tritt das Körnige der gedruckten Bilder hervor, die ja auch in digitalen Zeiten meist noch durch die Ausübung von Druck auf das Papier entstehen Leichtigkeit und Schwere, Fläche und Raum werden bei Harald Braun stets aufs neue ausgelotet, scheinbar Widersprüchliches in labile Gleichgewichtszustände gebracht. Braun ist weniger ein Dialektiker als ein Verknüpfer in Systemen, was auch in seinen oft wie tagebuchartige Skizzen wirkenden Zeichnungen deutlich wird. Hier treten immer wieder kleine Systeme, Kreisläufe und Diagramme auf, anders als beispielsweise bei Joseph Beuys aber ohne einen didaktischen oder welterklärenden Impetus, der bei Harald Braun eher ad absurdum geführt wird.

Ludwig Seyfarth