vergriffen

Artist Ausgabe Nr. 125

Portraits

Nora Olearius | Jean-Luc Mylayne | Marina Naprushkina | Michael Müller

Interview

Meike Behm

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Dieter Froelich

Portrait

DEINE KUNST, Installation von Michael Müller mit Werken aus der Sammlung der Städtischen Galerie Wolfsburg, 2019, Dritte Fassung: »The Conditions of Being Art (oder der Amateur)«, Museumsshop (temporary closed), © Die Künstler, Michael Müller, Foto: Frank Sperling

Textauszug

Michael Müller
Wie kann ein relativ junges Ausstellungshaus wie die 1979 gegründete Städtische Galerie Wolfsburg auf zeitgemäße Art und Weise sein 45. Jubiläum feiern? Natürlich könnte man eine mit vielen internationalen Leihgaben bestückte Blockbuster-Ausstellung organisieren, kuratiert womöglich von einem jener kosmopolitischen Stars aus dem Ausstellungsmacher-Jetset, die allenthalben für solche Events gebucht werden. Alternativ böte sich vielleicht auch eine klassische Sammlungsausstellung oder eine Best-of-Schau mit Highlights aus der Geschichte des Hauses an. Susanne Pfleger, die Direktorin der Städtischen Galerie Wolfsburg, fand all das zu langweilig. Sie entschloss sich stattdessen, den deutsch-britischen Berliner Künstler Michael Müller zu einer »experimentellen Neupräsentation der Sammlung« unter Einbeziehung ausgewählter Leihgaben und eigener Arbeiten einzuladen. Dies kuratorische Tätigkeit ist für Michael Müller genuiner Bestandteil künstlerischer Praxis.

Und damit das ganze Unternehmen nicht als singuläres Ereignis mit kurzer Halbwertzeit verpufft, entstand auch gleich die Idee, diese künstlerische Revision, Reflexion und Präsentation auf einen längeren Zeitraum auszudehnen. Michael Müller hat zwei Jahre Zeit bekommen, um seinen Ausstellungszyklus »DEINE KUNST: The Conditions of Being Art (oder der Amateur)« zu realisieren.

Mechanismen der Kommerzialisierung und Degradierung von Artefakten zu massenhaft hergestellten, billigen Souvenirs hinterfragt Michael Müller zudem in seiner mit »An- und Verkauf« betitelten Version des Museumsshops mit selbst entworfenen T-Shirts, Espressotassen, Handyhüllen oder Kopfkissen. Erwerben und mitnehmen darf der interessierte Besucher jedoch keines davon. »Vorübergehend geschlossen« steht auf einem Schild. Dynamiken der Bedürfnisweckung und ihrer im Kapitalismus sonst so problemlosen Befriedigung werden hier ad absurdum geführt.

Zwei aktuelle Ausstellungen bei Thomas Schulte stellen zudem unter Beweis, dass Müllers Reise weitergeht. Die beiden Einzelpräsentationen »Anton im Bastrock« und »Bikini on Mars« (zwischen 9.9. und 9.10.2020) stellen erstmals in größerem Umfang auch das der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannte, malerische Werk Müllers in den Fokus. Die Galerie Thomas Schulte befindet sich im Tuteur-Haus in Berlin-Mitte. Das denkmalgeschützte, ursprünglich 1886 errichtete Gebäude wurde 1912/13 von Hermann Muthesius umgebaut und mit einem zur Kreuzung Charlottenstraße und Leipziger Straße hin exponierten, dreiteiligen Eckschaufenster versehen. Michael Müller macht sich diese neun Meter hohe architektonische Besonderheit zu eigen. In die sechs Segmente dieses im Galerie-Jargon als »Corner Space« bezeichneten Schaufensters hat er jeweils eine große, abstrakt gehaltene Leinwand gehängt. Die ungegenständlichen Monumentalgemälde tragen den Titel »Mentale Treibhölzer«. Sie wurden spontan und mit den bloßen Händen gemalt.

Auch in Berlin bleibt er seiner Methode des partiellen Verunklärens und Verkomplizierens also treu. Für die Werkgruppe »Handicap« etwa verwendete er mehr oder weniger dysfunktionale Malwerkzeuge wie eingetrocknete Pinsel, einen Wischmopp oder einen Scheibenwischer, um bewusst den Mythos vom genialischen Malgestus, wie er beispielsweise den Vertretern des Abstrakten Expressionismus zugesprochen wird, zu unterlaufen. »Ich würde das Abstrakte, glaube ich, erstmal negativ formulieren oder definieren. Im Sinne von: Es ist einfach nicht gegenständlich. Damit ist gesagt, dass es eben nichts darstellt. Aber es ist überhaupt nicht gesagt, was es ist«, so Müller über seine Malerei. Im Gespräch mit Ellen Blumenstein, der Kuratorin seiner Ausstellung im KW, stellt Müller klar: »Ich verwende viele Methoden der konzeptuellen Kunst, komme aber nicht zu deren Ästhetik. Beispielsweise ist die K4-Schrift zwar konzeptuell, aber gleichzeitig ist der Vorgang sehr sinnlich.«

Mit seinen aktuellen Ausstellungen in Wolfsburg und Berlin zeigt Michael Müller, dass er die hier beschriebene künstlerische Methodik weiterentwickelt und verfeinert. Mit seiner Art der Kunstproduktion – und vielleicht noch wichtiger der ausgeklügelten Präsentation – schafft er Kommunikationssituationen und Reflexionsräume, die die Betrachter seiner Werke und Interventionen dazu animieren, die vielfältigen Wechselbeziehungen, Abhängigkeiten und Verstrickungen zwischen Werk und Künstler, Werk und Kurator, Werk und Betrachter, Werk und Raum, Werk und benachbartem Werk, Original und Appropriation, mithin die eingeübten Standards der Betrachtung von Kunst, selbst auf den Prüfstand zu stellen.

Nicole Büsing / Heiko Klaas