Artist Ausgabe Nr. 117

Portraits

David Moses | Erika Hock | Roman Signer | Stefanie Klingemann

Interview

Janneke de Vries

Page

Almut Linde

Edition

Erika Hock

Portrait

Installationsansicht »Hotel Atlantik«, Kunsthalle Lingen, 2018, Foto: Roman Mensing, Courtesy COSAR HMT

Textauszug

Erika Hock
Ein merkwürdiges Inventar ist hier zusammengetragen. Fadengardinen hängen an zwei schlangenartig gewundenen Stangen und rahmen den Blick auf ein ungleiches Ensemble aus Tisch und Stuhl. Was dem einen entschwunden ist, entwächst dem anderen offensichtlich zu viel. Das aus dem Geiste des Freischwingers geborene skelettartige Objekt ohne Sitzfläche scheint selbst in die Hocke gegangen zu sein. Das langgestreckte dritte Bein des benachbarten Tisches sucht hingegen wie ein Fühler Kontakt. Ein intensiver Dialog verbindet die Dinge. Dieser läutet Geschichten ein, die nur ihnen eigen und zugänglich sind, oder die einfach leerlaufen. Zwar zeugt in einer merkwürdigen Mulde der Tischoberfläche ein Sandhaufen mit Zigarettenkippen von menschlichen Benutzern, doch vermisst man diese nicht. Längst haben sich die Objekte ihrer Funktionen entledigt.

Flankiert wird das Ensemble von zwei an der Wand angebrachten Kreisleuchten in verblüffend einfachem und schönem Design. Dem Paar scheint selbst ein Licht aufgegangen zu sein. Kreisrunde orange-rote Rohre beherbergen hier je ein Kabel mit einer frei heraushängenden rohen Glühbirne, die ein helles Licht erzeugt: ein Entwurf, der sofort in die Massenproduktion gehen könnte. Ein paar Schritte weiter zeichnet ein an der Wand angebrachtes fragmentarisches Gestell aus pulverbeschichtetem Stahlrohr ein Profil nach und wuchert sich zu einer großen weißen Nase aus. Im hinteren Teil des Raumes krümmt sich ein aufgerollter Teppich über eine niedrig gekappte Kleiderstangenkonstruktion; ein weiterer rhetorischer Formwitz. Und noch ein zweites Licht lockt in den hinteren Raum. Hier wirkt das Konzept der Stehleuchte aus einer völlig neuen Perspektive. Das aus gelbem Stahlrohr konstruierte Gestell ruht förmlich auf der Glühbirne, die von einem aufgeschlagenen Buch gepolstert wird, dessen potentielle Lektüre sie überstrahlt.

Hotel Atlantik« nennt Erika Hock ihre bis ins kleinste Detail ausgefuchste Rauminszenierung für das Kabinett der Kunsthalle Lingen, in der alles miteinander verbunden und dennoch flexibel und variabel erscheint. Norddeutsche assoziieren mit dem Titel schnell den Namen des legendären Hamburger Luxushotels an der Alster, Zufluchtsort zahlreicher Prominenzen, darunter seit 1995 für den Sänger und Künstler Udo Lindenberg, der gekommen war, um dann doch für länger zu bleiben. Gänzlich in der Schwebe eines Zwischenzustands bleibt hingegen das theatralische Stück, das die Künstlerin mit ihren neuen Prototypen einer anderen Welt mobiliaren Seins inszeniert. Es wirkt, als könne man wachsenden Entwurfsgedanken beim Entstehen und Verwerfen zuschauen. Als würden sich die Objekte von ihren bisherigen Verkörperungen und Zustandsformen befreien und damit auch ihrer Geschichte.

Das Licht, das Maß, die Farbe! Verfremden, Umdeuten, Konstruieren. Klassische ästhetische Kategorien treffen auf moderne Arbeitsprinzipien, dabei bleibt alles ganz analog. Erika Hock gehört zu einer jüngeren Generation von erfindungsreichen Bildhauerinnen, die mit souveräner historischer Kenntnis aus dem Repertoire der Moderne und Postmoderne schöpfen, und zugleich aus unterschiedlicher, vielleicht gar feministischer Perspektive die bisherigen Festschreibungen von Formen und Interpretationen auflösen. Statt Gewicht und Masse, freie Sicht und materialfeine Klasse. Statt großer Gesten, monumentaler Formate, Raumokkupationen, konzeptueller Behauptung oder selbstironischer Distanz ist eine sich aus den Dingen selbst herausschälende Aufrichtigkeit ein Kennzeichen der Werke vieler Künstlerinnen. Konstruktion, Material und Form sind im Werk von Erika Hock immer offengelegt und doch kann sich alles vor den Augen des Betrachters in etwas gänzlich Eigenes, gar Surreales verwandeln. Zugleich bleibt bei ihr nicht alles nur ein formales »Spiel«, sondern kann durchaus mit Ernst betrachtet und als etwas Substanzielles in eine neue Welt des Wohnens und damit verbundenen Lebens hinein materialisiert werden. Ob sich diese Welt hauptsächlich aus der Nostalgie speist oder auch auf zukunftsfähige Visionen und Herausforderungen ausgerichtet sein soll, bleibt dabei ein den Arbeiten inhärenter Widerstreit.

Sabine Maria Schmidt