Artist Ausgabe Nr. 105

Portraits

Dan Perjovschi | Michael Krebber | Walker Evans | Julius von Bismarck | Daniel G. Andújar

Interview

Wolfgang Ullrich

Page

Annika Kahrs

Portrait

Hoch und Runter, 2014, Boot, Stahl, Wasserpumpe, Inkjet-Foto, 50 x 70 cm, Installationsansicht, Kunstverein Göttingen, Foto: Eric Tschernow

Textauszug

Julius von Bismarck
Die Besucher der Art Basel staunen nicht schlecht, als sie in diesem Jahr gleich in der Nähe des Eingangs der Art Unlimited Halle einen jungen Mann auf einer sich drehenden, flachen Scheibe mit aufgebogenen Rändern entdecken. Alles an ihm ist auffallend: Schlank, groß und gut aussehend, trägt er einen imponierend langen Bart, wie er in einem anderen Jahrhundert einmal Mode war. Vor allem aber ist seltsam, dass er sich mit der größten elbstverständlichkeit der Welt auf dieser sich drehenden, einer atellitenschüssel nicht unähnlichen Scheibe eingerichtet hat wie in einem Zuhause. Es gibt dort einen Stuhl und einen Tisch, an dem er arbeitet, und eine Matratze, auf der er schläft und sich ausruht. Er bleibt drei Tage lang während der Öffnungszeiten der Messe auf der Scheibe, und wenn man ihn als Journalist zu sprechen wünscht, muss man sich zu ihm auf die Scheibe begeben und wenigstens eine Stunde dort bleiben. Nicht wenigen vergeht unter diesen Bedingungen die Lust an einem Gespräch mit Julius von Bismarck. So versäumen sie die Gelegenheit, die Bekanntschaft mit einem der sympathischsten, unkonventionellsten und experimentierfreudigsten Künstler seiner Generation zu machen.

Neben allen Einsichten technischer und wahrnehmungstheoretischer Art ist das egozentrische System von Basel aber auch ein höchst künstlerisches und poetisches Werk. Als solches stellt es die Dinge, wie sie sind und wie wir sie üblicherweise kennen, auf den Kopf. Das Leben auf einer rotierenden Scheibe, in einem sich drehenden Domizil, ist fast so schön wie das von Italo Calvino propagierte Leben auf den Bäumen. In diesem Werk – wie in anderen des Künstlers – gibt es eine oft aberwitzige, wenn auch nicht unrealistische Dimension, die von Bismarck als Anhänger und Verehrer des Musilschen Möglichkeitssinnes ausweist. Über das hinaus zu denken, was ist, und ins Auge zu fassen, was sein könnte, ist eminent künstlerisch. Nur so zeigt man dem Betrachter Bilder und Werke, die er noch nicht kennt. Nur so lehrt man ihn das Staunen über Welt und Wirklichkeit, das er vom Künstler erwartet. Das ist ein Talent, über das Erfinder und Entdecker nicht weniger verfügen als Künstler, und so wundert es nicht, dass von Bismarck keinen großen Unterschied zwischen ihnen macht. Denn sie kämpfen zusammen gegen den Biedersinn eines »Das war schon immer so«, der sich von jeher jeder Veränderung und Verbesserung menschlicher Verhältnisse in den Weg gestellt hat.


Julius von Bismarck steht mit solchen Eingriffen in der Tradition von Montage und Collage, die Künstler wie John Heartfield, Hannah Höch, Raoul Hausmann und andere bereits mit Erfolg im Dadaismus praktizierten, um als Gesellschaftskritiker aktiv zu werden. Wenn auch Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung als Strategien seitdem dieselben geblieben sind, ist der »Image Fulgurator« des Künstlers doch ein völlig singuläres und avanciertes Medium. Das trifft auch auf von Bismarcks Aktionen und Performances zu, vor allem auf die Serie der »Punishments«, deren erste 2012 stattfindet. Da bricht er auf, um die Alpen und in gewissem Sinne auch die Schweiz zu verprügeln. Man sieht ihn in dem die Aktion begleitenden Film, wie er anfangs mit einer nicht leicht zu handhabenden Bullenpeitsche mit aller Kraft auf einen Fahnenmast mit der Schweizer Flagge einschlägt. Dann peitscht der Künstler den Züricher See aus. Eine ebenso absurd anmutende wie imponierende Geste. Sie bringt die großartige Erzählung von dem altpersischen König Xerxes I. in Erinnerung. In Vorbereitung seines Kriegs gegen die Griechen hatte er zwei Schiffsbrücken bauen lassen, um mit ihrer Hilfe die Meerenge Hellespont zu überwinden und in Griechenland einzumarschieren. Ein Sturm vereitelte das Unternehmen. Das Meer erhob sich und zerstörte die Schiffe. Xerxes befahl in ohnmächtiger Wut, das Meer mit 300 Peitschenhieben zu bestrafen und mit ihm natürlich den Meeresgott Poseidon. Es ging also schon damals nicht allein um die blinde Natur allein, die natura naturata, sondern auch um ihren Beweger, die natura naturans. Ähnlich ist es bei dem sich an der Natur abarbeitenden Julius von Bismarck. »Punishment I«, der 34minütige Videofilm, zeigt nicht nur grandiose Bilder, in denen sich der Künstler von der Ebene langsam bis zum Gipfel der Berge hoch kämpft, sondern wird auch begleitet von allerhand Reflexionen zum Stand des eigenen Ich, der Schweizer Gesellschaft und der Welt. Natürlich wiederholt diese Bergbesteigung auch einen alten Topos, der von Prüfung und Eignung handelt und von einer Initiation, die vom Dunklen ins Licht führt, per aspera ad astra.

Wenn Julius von Bismarck durch die Berge zum Gipfel vorstößt, ist er manchmal kaum zu sehen, so groß sind die Alpen, so klein ist der Mensch. Dann wieder erfasst die Kamera die Peitsche in voller Länge, wie sie kraftvoll geführt, einer züngelnden Schlange gleich sich in das grüne Buschwerk frisst oder das Eis der Felsen platzen lässt. Der Künstler entwickelt in all seinen Aktionen Stamina und Stärke, die seinem Familiennamen alle Ehre macht. Ja, es handelt sich bei ihm in der Tat um einen Nachfahren jenes Mannes, der durch die entschiedene Kürzung der Emser Depesche die Franzosen 1870 dazu trieb, Preußen den Krieg zu erklären, und seinen König, Wilhelm I., in ihn einzutreten. Mit den bekannten Folgen: Frankreich verlor den Krieg, und Wilhelm wurde Kaiser des neu gegründeten Deutschen Reiches. Wenn Julius von Bismarck auch kein Machtpolitiker ist, so ist er doch ein Künstler, der in preußisch protestantischer Arbeitsethik seine Aufklärungsarbeit betreibt. Der ebenso kunstvolle wie schweißtreibende Gebrauch der Bullenpeitsche liefert dazu das passende Symbol. Wenn der Künstler mit der Natur kämpft, kämpft er zugleich auch mit sich selbst. In Rio de Janeiro züchtigte Julius von Bismarck nicht allein das Meer, sondern auch die weltbekannte Christus Statue. Wir können uns weder von der Natur noch von der Kultur lösen und von der Gesellschaft schon gar nicht. Auf Liberty Island in New York peitschte der Künstler den Sockel der Freiheitsstatue und wurde unter dem Beifall der Umstehenden von Polizisten abgeführt. Als er vor der Börse in der Wall Street den Bullen mit seiner Peitsche traktierte, schauten die Polizisten weg und die Menschen applaudierten.



Michael Stoeber